Schutzengel statt Christkind

neli

von neli

Story

Weihnachten 1989

Die ersten beiden Weihnachtsfeste mit unserem Erstgeborenen waren eher ernüchternd. Das Kind wollte, der Priorität nach geordnet: den Fotoapparat (ging nicht), als nächstes die Kerzen auf dem Baum (ging auch nicht) und dann noch die Kugeln (siehe vorne). Dann reichte es ihm. Päckchen uninteressant. Eltern leicht indigniert. Jetzt aber: ZWEI Kinder und Weihnachten – DAS muss es bringen! Alles begann wunderbar! Die Buben (neun Monate und zweieinhalb Jahre) starrten mit Bilderbuchergriffenheit auf den Baum, der Vater ebenfalls. Vor lauter Ergriffenheit ging allerdings der Griff nach der Kamera daneben, und das sündhaft teure Gerät schlug am Boden auf. Kaputt. Stimmung in Schräglage. Vater traurig an der Kamera herumbastelnd.

Ich war derweil wacker bemüht, die Idylle aufrecht zu erhalten und wickelte mit den Kleinen Geschenke aus. Oh, so eine tolle Kugelbahn! Schau, ist der Bär süß! Hier hast du noch ein Päckchen! Ui, so ein tolles Buch! Und dann dieses riesige Paket, was mag da drin sein? Ein brüderlicher Rempler, der Kleine fiel nach vorne und krachte mit ausgestreckten Händen ins Seidenpapier, durchbrach es und entging um Haaresbreite dem Verlust seiner zwei Schneidezähne, als er knapp vor der Sitzfläche des Schlittens aufschlug.

Weinen, übermüdete und überdrehte Kinder. Mir reichte es, und außerdem war die Zeit zum Schlafengehen auch bereits längst überschritten. Also schnell das Breinäpfchen für den Kleinen auf den Herd gestellt, Platte vom uralten Herd schon mal an und ins Bad mit den beiden.

Kurz darauf waberte eigenartiger Rauch, verbunden mit beißendem Gestank durch die Wohnung. Der Plastiknapf stand auf der aufgedrehten Platte und schmorte vor sich hin. Der Gestank war inferior! Wir rissen alle Fenster auf und wussten sofort: entweder vergiftet werden oder erfrieren – das war die Wahl, die uns dieser Abend ließ. Die Entscheidung fiel auf erfrieren und wir öffneten der eiskalten Nacht Tür und Tor. In der Wohnküche war die Temperatur bald auf kuschelige 5 Grad abgefallen, und so packten wir die Kinder ins Bett. Dort stopften wir den armen, verwirrten Kerlchen ein schnell zusammengewursteltes Abendessen hinein, und als ich erleichtert aufatmend ins Wohnzimmer zurückkehrte, war gerade der zunderdürre Adventkranz im Begriff, in Flammen aufzugehen.

Was für Glück, dass der Esstisch bis auf den Kranz leer war! Und was für Segen, dass die Balkontür bereits sperrangelweit offen war! Ich schnappte das Tischtuch, stülpte es über den Kranz und bugsierte die ganze Sache mit Schwung auf den Balkon. Ein Blick zwischen meinem Mann und mir machte alles klar: Genug für heute, ab ins Bett!

Das Christkind hatten wir vertrieben. Mit einem Zuviel an Erwartungen, Geschenken und Ansprüchen an die Kinder. Mindestens einen Engel hatten wir an diesem Abend aber trotzdem bei uns, und der hat ganze Arbeit geleistet.

Dafür bin ich ihm heute noch dankbar!

© neli 2019-12-19