Ich bin als Sonntagskind am Schutzengeltag geboren. Dem Schutzengel machte mein Leben oft „die Hölle heiß“, an einem Februartag sogar zweimal. Damals war ich als Sprachassistentin in Frankreich und gerade zum Schifahren in Alpe d’Huez. Als Schitouren-Fan suchte ich nach einer Abfahrt fern der Piste. Am Berg angekommen, sah ich einen Pfeil, der in freies Gelände zeigte.
„Genau richtig“, dachte ich. Berauscht von Sonne, Himmelblau und glänzend-rieselndem Firn, zog ich meine Spuren durch weitläufige Hänge, im Dahingleiten selbstvergessen-glücklich. Doch schlagartig knirschte es hässlich unter den Kanten. Hartes Erwachen aus zeitlosem Tagtraum, Landung auf eisigem Schattenhang! Die Lage war ernst: mutterseelenallein, unter mir gefrorene Steilhänge und weit vor mir die nächste Markierung, ohne Aussicht auf Besserung. Schi und Stöcke griffen am beinharten Schnee kaum.
Ausrutschen hieße, immer schneller ins „Nirgendwo“ hinunterzuschlittern. Ich wusste, worum es ging. Da gab mir die Angst im Nacken Bärenkräfte: Kanten und Stockspitzen wie Eispickel nutzend, hackte ich mich kleinweise voran, mit sachte verteiltem Gewicht ins Eis gekrallt und Schmerzen im angespannten Körper verdrängend. So verging eine gefühlte Ewigkeit bis zur Markierungsstange.
Geschafft und mit bester Aussicht! Vor mir glitzerte wieder Firn auf besonnten Hängen bis zur belebten Piste. Nun fühlte ich überall Schmerzen in Muskeln und Gelenken. Aber die Freude wirkte als Elixier, im Aufatmen entspannt, schoss neue Kraft ein. Fest antauchend rauschte ich wie in schwerelosem Tanz hinunter bis ans Ende der Piste. Vor einer in der Abendsonne sitzenden Gruppe schwang ich ab und blickte zurück. Die herrlich-schreckliche Abfahrtstour lag unsichtbar hinter den soeben durchtanzten Hängen.
Als ich aus der Bindung stieg, kamen Leute von der Gruppe zu mir; sie stellten sich als Filmteam bei der Arbeit an einer Schisport-Doku vor; meine Fahrt hatte ihnen imponiert, sie wollten mich für den Film engagieren. Gerne sagte ich zu, das spontane Angebot erschien mir als Krönung des Tages. Sympathie und Freude waren gegenseitig. Nach Sonnenuntergang kühlte es spürbar ab. Es war Zeit, essen zu gehen und die Besprechung in gemütlichem Rahmen fortzusetzen. Rasch wurden wir uns einig und beschlossen, unser Treffen zu feiern.
Im Bus des Teams fuhr ich mit zu einer beliebten Tanzbar. Es war dunkel, die Straße eng und schneeglatt. Sie führte in Serpentinen steil aufwärts. Gegenverkehr nahte, mir wurde mulmig zumute. Unser Fahrer musste bei schlechter Sicht immer näher an den Steilhang reversieren. Plötzlich überkam mich akute Angst, „stop“ schreiend sprang ich aus dem Auto. Am Abgrund sah ich ein Hinterrad hinausragen, wenig fehlte zum Absturz.
Meine Film-Freunde und ich waren zittrig, aber gemeinsam schafften wir es schließlich, heil ans Ziel zu kommen. Wir hatten einen Grund mehr zu feiern, es wurde ein schöner, besinnlicher Abend.
© Brigitte Kronabetter 2019-04-11