Schutzmechanismus

Roya Sahraeizadeh

von Roya Sahraeizadeh

Story

Wir beide sind doch eigentlich perfekt füreinander. Wer sonst könnte es sein? Wir kennen uns seit der Grundschule. Er kam damals in meine Klasse, als seine Mutter zusammen mit ihm und seinem kleinen Bruder in die Stadt gezogen ist. Damals war ich ganz schön verknallt in ihn. Er war der erste, na gut der zweite Junge, den ich toll fand. Ich glaube, er fand mich ziemlich nervig. Ich hab ihn trotzdem zu meinem Geburtstag eingeladen. Und er hat zugesagt. Aber erst, nachdem unser Team beim Völkerball gewonnen hat, weil ich als Letzte auf dem Spielfeld stand. Ich glaube, das war der Moment, in dem er auch mit mir befreundet sein wollte. Denn ab diesem Moment musste ich mich nicht mehr fragen, ob er zu meinen Partys oder ich zu seinen komme. Wir haben es einfach angenommen. Wir haben jede Pause auf dem Schulhof zusammen gespielt und selbst meine kleine anhängliche Schwester konnte ihn nicht abwimmeln. Schon komisch, woran ich mich noch erinnere. Ich erinnere mich daran, dass wir auf dem Schulhof Marco Polo gespielt haben. Daran wie ich beim Rennen hingefallen bin und mir den Kopf gestoßen habe. Wie er angelaufen kam, als ich geweint habe. Ich erinnere mich daran, dass er von mir geschwärmt hat, wie schnell ich beim Völkerball war. Oder wie schlau ich bin, weil ich so lange Geschichten schreiben konnte. Wenn ich daran denke, erwärmt es mir das Herz. Ich bin nicht gefühllos. Ich hab nicht mit ihm gespielt. Wir waren all‘ die Jahre befreundet. Waren? Warum verwende ich dieses Wort? Wir sind es noch. Oder hört das auf, wenn einem der andere gesteht, dass man ihm etwas bedeutet? Ich kenne die Regeln nicht. Ich mache sie nicht. Alles, was ich gemacht habe, war ich selbst zu sein. War er auch er selbst? Oder hat er mir sein Interesse nur vorgegaukelt? Ich meine natürlich nicht von Anfang an. Kinder sind viel zu ehrlich. Sie sagen einem immer was sie denken. Es gibt keine versteckten Absichten. Aber wenn er irgendwann angefangen hat sich zu verstellen, wann hat das angefangen? Ich wünschte, ich könnte diese Gedanken abstellen. Jede Frage führt zu einer weiteren und sie sind zu nichts gut. Mein Kopf ist beschäftigt und hindert mein Herz daran, etwas zu fühlen. Oder es zu fühlen. Verliebt zu sein. Vielleicht ist es eine Art Schutzmechanismus. Und wieder fühle ich mich wie ein Tinder Fuckboy, der den Schutzmechanismus als Ausrede benutzt, weil er sich schlicht und ergreifend nicht festlegen möchte. Das Problem ist, dass ich es nicht ändern kann. Ich weiß nicht einmal, ob ich an die Liebe glaube. Beziehungen zerbrechen. Und ich weiß sehr wohl, dass nicht alle Beziehungen zerbrechen. Ich bin nur nicht mehr überrascht, wenn sie es tun. Wieso ist das so? Warum kann ich nicht glauben, dass ich jemanden treffe, der mich liebt und ihn auch lieben? Warum kann ich das nicht genießen? Ich möchte glücklich sein. Und ich möchte mit ihm glücklich sein. Also fasse ich den Entschluss, dass ich mich zusammenreiße. Ich schüttle die Gedanken jetzt einfach ab und bin glücklich. Mit ihm.

© Roya Sahraeizadeh 2023-09-11

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd