von Brigitte Böck
Im Sommer 47 hatte mein Vater auf dem Schwarzmarkt eine lebende Gans erstanden. Er sagte, es wäre jetzt unser Haustier und wir sollten uns darum kümmern. Wir lebten mit 9 Personen in Berlin Parterre- in einer 2 Zimmer-Stadtwohnung bei Oma. Quackeleia hatte ihr Plätzchen unter dem Spülbecken in der Küche und lebte von den Resten, die beim Essen und Kochen übrig blieben. Wenn ich brav war durfte ich mit ihr in den Hof gehen mit einem Strick um den Hals. Es war ein aufregendes halbes Jahr und wir Kinder hatten eine enge Beziehung zu ihr aufgebaut. Weihnachten kam und unser liebgewonnenes Haustier wurde in der Küche von meinem Vater geschlachtet. Mein ältester Bruder musste sie dabei halten, wir waren im Nebenzimmer. Als mein Bruder in der Küche schrie, da wussten wir, es war geschehen und ich verkrampfte meinen Hals und schrie so laut, tagelang hatte ich ein steifes Genick und konnte gar nicht aufhören, zu weinen.Es war ein schlimmes Weihnachten, wir Kinder hatten Hunger, aber niemand von uns konnte auch nur einen Bissen davon essen. Während die Erwachsenen glücklich waren über dieses Festmahl haben wir Kinder uns übergeben und geheult. Erst viel später habe ich verstanden, dass es lebenswichtig war, Tiere zu füttern und zu töten, damit wir überleben konnten. Da hab ich das erste Mal begriffen, wie ohnmächtig ein Kind sein kann und dass die Großen in einer anderen Welt leben.
Eines Tages brachte er zwei große Eimer mit lebenden Fischen, die Mutter und Oma am nächsten Tag einlegen wollten. Darum wurde die Badewanne mit Wasser gefüllt und dort sollten die Fische bis zum nächsten Tag überleben. Wir wurden ermahnt, uns nicht an der Wanne die Hände zu waschen, ein Waschbecken gab es nicht. Mein großer Bruder, immer in Gedanken, wusch sich am Abend mit Seife die Hände. Als jemand von uns später auf die Toilette ging, schwammen alle Fische tot an der Oberfläche. Das war ein furchtbares Familiendrama.
Vater handelte auch mit Schokolade und Zigaretten in großen Mengen. Eines von uns Kindern musste immer am Fenster hinter der Gardine stehen und den Hof beobachten und sofort Bescheid geben, wenn eine Kontrolle kam. Die Zigaretten wurden unter den Kohlen im Kohlenkasten versteckt, und die Polizei wollte sich nicht die Finger schmutzig machen. War Gefahr in Sicht, ein lauter Ruf und alle Kinder sprangen in die Betten und unter der Decke wurden blitzschnell die Schokoladentafeln in unserer Kleidung verteilt. Es klingelte und wir hörten aus der Küche: „Bitte seien sie leise, die Kinder schlafen! “Mutter bot den Beamten noch Tee an, dadurch dauerte die Kontrolle länger, aber in unseren Schlafraum kamen sie nicht. Als Mutter sagte, wir dürfen nun aufstehen, da war die ganze Schokolade durch unsere Körperwärme geschmolzen. Das war ein Fest! Wir leckten uns genussvoll gegenseitig ab, selbst Vater musste erleichtert lachen, weil alles gut gegangen war. Mutter sagte: “Heute habe ich die süßesten Kinder der Welt”. Ein froher, entspannter Abend folgte.
© Brigitte Böck 2021-01-21