Schweigsame Kriegsheimkehrer

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

In meiner Jugend in Gronau traf ich häufiger auf sonderbar schweigsame Männer. Es gab sie unter den Vätern meiner Schulfreunde und es gab sie auch bei meinen ersten Ferienjobs in Gronaus Textilindustrie. Meist einfache Arbeiter, die froh waren, wenn sie ungestört ihrer Tätigkeit nachgehen konnten. Geselligkeit mieden sie und auch war keine Begeisterung für Sport oder Politik erkennbar. Stilles Glück in häuslicher Umgebung war ihnen anscheinend mehr als genug. Woher kam das?

Erst später verstand ich den Hintergrund, denn all diese Leute hatten erstaunlich ähnliche Lebenserfahrungen: Vielleicht hatte es in den 30ern noch bis zu einem Notabitur gereicht. Hitlerjungen wurden im Alter von 14 bis 18 Jahren in Wehrertüchtigungslagern trainiert und an Waffen ausgebildet, und ab August 1943 wurden auch bereits unter 18jährige zur Wehrmacht eingezogen. Damit waren alle Zukunftsträume und Hoffnungen für Studium, Beruf und Familie in weite Ferne gerückt.

Was manche von diesen blutjungen Soldaten dann nicht nur erfahren, sondern auch mitzutragen und zu verantworten hatten, blieb oft lebenslang unausgesprochen und wurde vielfach erst mit dem eigenen Tod gelöscht. Namentlich jene, die die russische Kriegsgefangenschaft überlebt hatten, hatten undenkliche Strapazen, oft auch Demütigungen erlitten. Die Überlebenden wurden oft erst nach vielen Jahren in eine Heimat entlassen, die für sie vielfach buchstäblich nicht mehr vorhanden war: Die Städte der Jugend lagen nun in für sie fremden Ländern und die eigene Familie hatte es in eine der vier Besatzungszonen in Deutschland oder Österreich verschlagen. Städte lagen in Schutt und Asche und viele Freunde, ja sogar Eheleute und Familien konnten überhaupt nicht mehr zueinander finden, nicht selten auch deshalb, weil es sie schlichtweg nicht mehr gab. Ich erinnere mich noch an die Suchmeldungen des Roten Kreuzes im Radio.

Neuanfang? Anknüpfen, wo man vor Beginn des schrecklichen Krieges aus den Jugendträumen gerissen worden war? Nein, das ging nicht. Nicht nur, weil die Welt eine andere geworden war, sondern weil man in der Vergangenheit in Befehlen und im Gehorsam jedes Vertrauen in die Möglichkeiten einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung verloren hatte.

Zu einer Abrechnung mit eigentlich Verantwortlichen hat man sich ebenso wenig aufraffen können, weil man – von wenigen Ausnahmen abgesehen – sogar zu schwach war, um die Überlebenden vor den Schrecken des Krieges warnen zu können.

Ähnlich heißt es in Schillers Ballade über das verschleierte Bild zu Sais vom Jüngling, der schuldhaft die Wahrheit erfährt, dass seine Zunge niemals bekannte, was genau er gesehen hat. Vielmehr hatte er von da an seines Lebens Heiterkeit für immer verloren. Genauso wie bei diesen schweigsamen Heimkehrern aus dem 2. Weltkrieg: Brave Textilarbeiter, die in ihren einfachen Werkswohnungen lebten, arbeiteten und hofften, so einfach in Frieden unauffällig weiterzuleben.

© Klaus Schedler 2020-08-31

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