von Ulla Burges
Sein Gesicht war starr, die Muskeln steif, die Augen brannten, weil kein Lidschlag gnĂ€dige Feuchtigkeit spendete. Alles in ihm brannte â oder nein, alles war bereits erloschen, graue Asche. Die Augen lebten wohl noch. Auch das wĂŒrde aufhören.
Ein Wildschwein trottete auf die Lichtung. âHallo Schweinâ, sagte er matt, mit belegter Stimme, fremd, seit drei Tagen die ersten Worte wieder. Hatte er doch noch Worte? Er hatte keine mehr benutzen wollen. Wurden nur missbraucht, fĂŒr GeschwĂ€tz, fĂŒr Verdrehungen, fĂŒr HĂŒ wie fĂŒr Hott, fĂŒr LĂŒgen, falsche Versprechungen, KrĂ€nkungen, Ausreden, fĂŒr Blabla.
Das Schwein schien ihn nicht gehört zu haben, kramte im Boden herum. VernĂŒnftiges Schwein, dachte er. Warum ist ein Schwein vernĂŒnftig, das im Boden kramt, wĂ€hrend er, Felix, auch stets herumkramt, damit aber nicht zufrieden ist. âIch bin eben kein Schweinâ, sagte er halblaut vor sich hin, âwerde nicht satt vom Herumkramen.â Etwas in ihm ĂŒberlegte, gegen seinen Willen: Bin ich vernĂŒnftig, wenn ich mich wie ein Schwein verhalte? Weiter kam er nicht mit seinen Gedanken, denn ein Schuss fiel, und das Schwein fiel zuckend um.
Der SchieĂer kletterte von seinem Hochsitz gegenĂŒber herunter, ging zu dem toten Schwein, stellte seinen FuĂ auf das Tier, die HĂ€nde in die HĂŒften, sagte Juchhu. âArschlochâ, sagte Felix. SpĂ€ter erhob er sich, alles tat weh von den letzten drei Tagen.
Freundin eins freute sich sehr: Da sei er ja wieder, schön. Freundin zwei heulte los, hĂ€tte ihm fast eine gescheuert, war schon bei der Polizei. âMann, bei dir piept’s wohl?!â Freundin drei erklĂ€rte die Beziehung damit fĂŒr beendet. Felix stöhnte.
Im Computer sah er achtzig Mails. Zweimal die Mitteilung, dass jetzt Geld ĂŒberwiesen wĂŒrde: einmal elf Euro, einmal einhundertsechs. Vier baten um Geduld, wĂ€ren knapp bei Kasse. Drei teilten mit: tolle Arbeit, dankeschön. Sieben erklĂ€rten, dass sie sich leider an die finanzielle Vereinbarung nicht halten könnten, der Klageweg stĂŒnde ihm aber offen. Von einem erfuhr er, dass er gar keine Rechnung erhalten habe â Mahnung ergo unbegrĂŒndet. Acht neue AuftrĂ€ge waren dabei, der entfernteste in Japan. Felix ist Werbefotograf, macht seine Sache gut.
Drei Wochen spĂ€ter sein Anruf: Sein endloses Dilemma. Seine Tage auf dem Hochsitz. Hatte inzwischen verhandelt mit den Japanern, mit den Tschuktschen in Nordostsibirien und mit einem Bio-Koch nahe Torgau. Alle wĂŒrden fast nichts zahlen wollen. Nur Wortgeklingel und deren Abspringen, sobald er wasserdichte VertrĂ€ge fordere. âImmer lasse ich mich drauf ein â wird Zeit, dass ich zum Schwein werde.â Dann wĂŒrde er erschossen, peng, erinnerte ich ihn. Was nun aber sei mit den Japanern, den Sibiriern und dem Bio-Koch. Nichts, sagte Felix, sicher hĂ€tten sie einen Billigeren gefunden. Die GebĂ€udereiniger hĂ€tten ihn jetzt gefragt, wegen eines Events. Leider habe sich auch Freundin drei wieder gemeldet, könne ohne ihn nicht leben. Felix stöhnte. Wenn nur alles ein bisschen leichter wĂ€re.
© Ulla Burges 2021-04-17