von MISERANDVS
Meine Maschine ist endlich wieder zurück. Natürlich haben die Blödpfeifen meinen Helm in der Werkstatt liegenlassen, weswegen ich nicht fahren kann. Das Wetter wär so schön! Ich stehe mit der Fernbedienung in der Hand daneben und versuche, die Ambiente-Beleuchtung wieder auf Grade zu bringen. Dass die immer mit ihren Fottfingern alles verstellen müssen! Lieblose Arbeit ist das. Sowas hat’s bei Vati nie gegeben. Alles musste eingestellt sein, bevor ein Fahrzeug an den Kunden zurückging. Und die Dinge mussten da liegen, wo sie vorher waren. Da kannte Vati kein Pardon. “Würdest du dein Auto zu zurückbekommen wollen?”, schnaubte er unsere Mechaniker oft an. Ich seufze. Ich muss fahren, hilft alles nix. Und – auch, wenn’s komisch klingt – Motorradfahren hilft gegen die Koliken. Die Bewegung, die Schwingungen, die Erschütterungen, manchmal bringt’s was. Ich stapfe nach oben, krame den Ersatzhelm hervor. Der ist mir zwar ums Arschlecken zu klein, muss aber reichen. Und wohin? Ich überlege. Da fällt mein Blick auf die Reservekerze für Lydia. Hab sie extra für sie gekauft; und irgendwie fühlt es sich falsch an, sie für Vati anzuzünden. Dann ist das Ziel wohl klar.
Wenig später stehe ich vor Lydias Grab, Kerze in der einen, Gießkanne in der anderen Hand. Ich bin entsetzt. Noch immer war keiner so viel, den aufgetürmten Dreckhaufen, der langsam einzubrechen beginnt, grade zu harken. Der Kranz, der drauf liegt, ist inzwischen gelblich verdorrt, die einst gelben Rosen sind nur mehr grauer Kompost. “Was für eine gottverdammte Sauerei!”, zische ich zwischen meinen zornig zusammengepressten Zähnen hervor. Immerhin hat irgendjemand sich erbarmt und ein Licht angezündet. Ich stelle die Kanne hin. Hier hilft kein Gießen mehr. Und ich kann nicht mal den verottenden Kranz entsorgen, weils mich nichts angeht. Ich bin wirklich wütend, das Grab so zu sehen, und es bestätigt meine Meinung, dass sich wirklich keiner einen Dreck drum schert, wie das aussieht. Lydia war ein Mensch mit dem Blick für das Schöne, mit Sinn für Ästhetik. Es ist zum Kotzen, sie so lieblos unter so einem Haufen Mist liegen zu wissen.
Es drückt mich, ein paar Worte zu ihr zu sprechen, doch ich bringe keine Silbe hervor. Ich mach die Kerze an und stelle sie neben die Laterne. Ich möchte so gerne was zu ihr sagen. Doch ich stehe nur wortlos da. Ich nehme die Kanne, gieße die Blumen auf den beiden Nachbargräbern. Da ist noch was zu retten.
Ein paar Minuten steh ich noch schweigend da. Wenn ich wenigstens ein “Adieu!” rausbrächte… Geht nicht. Hilf nix. Es ist nichts Ungesagtes mehr zwischen uns, und es gibt wohl keinen Grund mehr, hier noch einmal herzukommen. Also gehe ich. Grußlos.
“So eine verdammte Schande!”, fluche ich, als ich die Kanne wieder an den Haken hänge. Das müssen einsame sechs Jahre Koma gewesen sein, wenn das Grab so aussieht, kommt es mir in den Sinn. Am Tor bleibe ich stehen, drehe mich um, sage: “Ich…”.
Dann klopfe ich mit der Hand an das Tor und gehe. Was geht’s mich an!
© MISERANDVS 2021-05-10