ein Jahr lang Schwester

Sarah Schreiter

von Sarah Schreiter

Story

Ich habe mir eine Schwester importiert. Vom weit entfernten Mexiko kam sie angeflogen. Plötzlich war ich die Älteste von drei, statt nur zwei, Kindern. Das große Geschwisterchen von einem leiblichen Bruder und einer geborgten Schwester.

Als wir sie vom Flughafen abholten, wussten wir kaum wen wir gleich treffen werden. Alles was wir hatten war ein Steckbrief, ein paar Fotos und wenige Fakten wie Geburtsdatum, Fremdsprachenkenntnisse und Familienstand.

Lange bettelte ich meine Eltern an, damit sie endlich meinen PlĂ€nen zustimmten, es fĂŒr ein Schuljahr lang als Gastfamilie fĂŒr eine AustauschschĂŒlerin zu probieren. Dank einem Positivbeispiel in unmittelbarer Nachbarschaft, sagten sie schließlich ja zu der gewagten Idee, eine Fremde in unser Leben aufzunehmen und diese ehrenamtlich zu versorgen.

Die anfĂ€ngliche Umstellung war groß. Das mexikanische MĂ€dchen konnte kein Deutsch und von Österreich hatte sie zuvor nur aus ErzĂ€hlungen gehört. Der erwartete Kulturschock traf uns fast genauso hart wie sie. Wir mussten feststellen, dass ein Jugendlicher von der anderen Seite der Welt so gleich und doch so anders sein kann.

Umsorgt von zwei gut verdienenden Eltern und Bediensteten, abgeschottet auf einer Insel der Reichen, kannte meine Schwester aus ihrer Heimat nur den „guten Teil der Welt“. Doch auch, wenn sie sich mit ihrer schwarzen, unlimitierten Kreditkarte so gut wie alles kaufen konnte, musste sie bald einsehen, dass Aussehen und Geld nicht immer an erster Stelle stehen.

Und auch wir lernten. WĂ€hrend wir in den ersten Wochen des Austauschjahres noch fest behaupteten, dass es bei uns keine speziellen Regeln gĂ€be, merkten wir relativ schnell, wie viele Normen unser tĂ€gliches Leben tatsĂ€chlich beeinflussen. Vom Schuhe ausziehen, wenn man zur TĂŒr hereinkommt, ĂŒber das Bescheid geben, dass man das Haus verlĂ€sst, bis zum „Guten Morgen“ sagen, sobald man sich in der FrĂŒh zum ersten Mal sieht, unser Zusammenleben war doch nicht ganz so willkĂŒrlich wie zu Beginn vermutet. Wöchentlich erkannten wir mehr Details unseres Familienleben und lernten ĂŒber den Umgang miteinander.

Die anfangs fremde AustauschschĂŒlerin vom Flughafen war bald schon fester Bestandteil unseres Alltags. Und auch, wenn die Beziehung mit der Mexikanerin letztendlich trotzdem nicht mit der zu einer leiblichen Schwester vergleichbar war, so kannten wir uns besser, als die eigene Westentasche. Interkulturelles Lernen wurde zum großen Teil unseres Lebens und mit jeder ĂŒberwundenen HĂŒrde, fĂŒhlte es sich an, als wĂ€re die Welt nun etwas kleiner.

Beim Abschied behaupteten wir dann, dass uns die gemeinsame Zeit eigentlich recht unbeeindruckt lĂ€sst. Oh wie falsch wir lagen! Das Gastfamilienjahr war ein Abenteuer im eigenen Zuhause, eine Fortbildung ohne Seminar, ein nicht wegdenkbares Erlebnis und eine Bereicherung fĂŒr die ganze Familie.

Holt euch die Welt nach Hause!

© Sarah Schreiter 2019-12-10

Hashtags