von Pauline Herold
Nachdem Rose wieder eingeschlafen ist, bette ich ihren Kopf sachte auf ihrem weiĂź bestickten Polster und decke sie zu.
Dann schleiche ich aus dem Zimmer, nicht ohne vorher noch das Licht auszumachen.
Damit ich meine Schwester nicht wecke, tapse ich im Dunkeln barfuĂź die Treppe hinunter. Die vorletzte Stufe ĂĽberspringe ich, weil sie immer so laut knarzt.
Unten angekommen streicht mir etwas Pelziges um die Beine und als ich an mir herabblicke, sehe ich ein paar dunkelblauer Augen.
Ganz langsam, damit ich sie nicht erschrecke, gehe ich in die Knie und kraule Veilchen, unsere Katze hinter den Ohren. Zufrieden schnurrend ringelt sie ihren Schwanz um mein rechtes Bein.
Veilchen war erst zwei oder drei Wochen alt, da hat jemand versucht sie in einem Tümpel, nicht weit von unserem Haus, zu ertränken.
Noch heute schnĂĽrt es mir vor Wut die Kehle zu, wenn ich daran denke, was man (und damit meine ich uns Menschen) einem kleinen, wehrlosen Tier antun kann.
So fanden Rose und ich schließlich vor fast einem Jahr das winzige Fellknäuel halb tot am schlammigen Ufer des Tümpels und pflegten es gesund. Seitdem kümmern wir uns um Veilchen und gehen mit ihr sehr behutsam um, denn sie ist ziemlich schüchtern und oft schreckhaft (was man ihr wirklich nicht verübeln kann).
Und die kleine Katze tut, meiner Meinung nach, gut daran, uns allen zu misstrauen.
Ein letztes Mal streiche ich Veilchen sanft über das schwarze Fell, das selbst in der nächtlichen Finsternis, die mir die blasse Haut schwärzt, dunkel leuchtet.
Auf Zehenspitzen (unsere Wände sind ziemlich dünn) husche ich leise wie ein Schatten durch die Küche und von dort aus in den kleinen stickigen Raum, den wir unser Vorzimmer nennen.
Er ist wirklich sehr klein – kaum größer als ein anständiger Kleiderschrank – und hat nur ein winziges, schräg in die Wand eingelassenes Fenster, aus dem spärlich Licht sickert.
Als ich nicht aufpasse, stolpere ich ĂĽber einen alten Regenschirm und falle gegen eine, zur Seite geschobene Kiste, dessen Inhalt mit mir auf die knarzenden Dielen purzelt.
Erschrocken halte ich den Atem an und lausche, ob Rose durch den Lärm aufgewacht ist, doch oben bleibt es weiterhin still.
Leise fluchend richte ich mich in dem Chaos auf und erstarre.
Nicht weit von mir liegen die alten Ballettschuhe meiner Schwester.
Ihr Anblick lässt mich zusammenzucken, auch wenn ich nicht recht weiß warum. Aber noch etwas Anderes fesselt meine Aufmerksamkeit. Keinen halben Meter von mir entfernt liegt ein kleines rotes Heft, dessen Einband sich schon halb von den Seiten gelöst hat.
Ich muss nicht nachschauen, um zu wissen, was darin steht.
Mein altes Tagebuch ist in einem schlechten Zustand. Fast sehe ich den in fein säuberlicher Handschrift geschriebenen Satz, der zwischen den alten Papierseiten ruht, vor mir.
Mein Name ist Lil.
Könnte ich meine Geschichte neu schreiben, sie würde wohl mit denselben Worten beginnen.
© Pauline Herold 2023-10-09