von Pauline Herold
Das Erste, was ich spĂĽrte, war Schmerz.
Er durchzuckte mich so jäh und plötzlich, dass ich schreien wollte, doch kein Laut kam über meine Lippen.
Dunkelheit umfing mich wie ein Spinnennetz – trügerisch friedlich und absolut tödlich.
Am Rande meines Bewusstseins vernahm ich leise Geräusche, die nur schwer und undeutlich zu mir drangen – als befände ich mich hinter einer dünnen Wand aus Glas oder einem Schleier. Ich versuchte den Kopf zu drehen, aber ich konnte es nicht.
Obwohl ich meinen Körper spürte – den Schmerz sowie jeden Muskel darin – war ich dennoch weder in der Lage mit den Fingern zu zucken noch die Beine anzuwinkeln. Es fühlte sich an, als hätte jemand mir die Kontrolle über meinen Körper genommen, um ihn dann einfach irgendwo liegenzulassen. Steif und unbeweglich.
Aber warum hatte mich die Person – welche daran die Schuld trug, dass ich nun wehrlos und wie erstarrt dalag, ohne mich auch nur in geringster Weise rühren zu können – mich in völliger Dunkelheit zurückgelassen? Ganz allein.
Abgesehen von den Geräuschen, die mir gleichzeitig Kilometer weit entfernt und näher als mein Herzschlag vorkamen.
Hätte ich mich bewegen können, so hätte ich die Stirn gerunzelt. Angespannt lenkte ich meine vollkommene Konzentration an den Rand meines Bewusstseins und versuchte etwas von den Lauten zu fassen zu kriegen.
Meine Frustration darüber, dass ich keinen der Geräuschfetzen zu greifen bekam, trieb mich nur noch mehr an. Verbissen probierte ich es immer wieder, bis ich endlich etwas erhaschte.
Es war die Stimme einer Person.
Ihre Worte drangen nur verzehrt und unvollständig zu mir, als spreche sie durch ein Radio mit schlechtem Empfang, den Teile ihrer Rede gingen in einem lauten Rauschen unter.
„… starkes Schmerzmittel … schläft fürs Erste …. viel Blut verloren …“.
Eine zweite Stimme meldete sich nun zu Wort. Sie klang tiefer und kam mir seltsam vertraut vor. „Wird sie durchkommen?“
Ich hörte, wie die erste Person etwas erwiderte, doch ihre Antwort verlor sich auf dem Weg zu mir in der Stille um mich herum. Nun umklammerte mich die Finsternis fester, drückte mich nach unten und betäubte meine Gedanken, während ich immer tiefer trudelte. So tief, dass all meine Sinne von dieser wattigen Schwärze erstickt wurden. Und dann noch tiefer.
Die Uhr schlägt 19, als ich die Tür zum Antiquariat der Zeit sorgfältig absperre.
Gerade verstaue ich meine Tasche in den Korb meines Fahrrads und will losfahren, da erklingt hinter mir eine bekannte Stimme. „Hi, machst du grad Feierabend?“
Oh nein, bitte, bitte lass das jetzt nicht wahr sein!
Langsam drehe ich mich um und muss zu meinem Bedauern feststellen, dass mein kleines Stoßgebet zum Himmel nicht erhört wurde.
Auf der anderen Straßenseite – mit verstrubbelten Haaren und lässig gegen die Fassade eines alten Hauses gelehnt – steht George.
Ich wende mich erneut meinem Fahrrad zu und ignoriere ihn damit geflissentlich. Mit einem Mal habe ich es ziemlich eilig von hier wegzukommen, doch als ich mein Fahrradschloss aufgesperrt habe und mich wieder aufrichte, wobei ich mich leicht nach vorne beuge, blicke ich plötzlich in zwei warme, hellgrüne Augen.
Georges Gesicht ist nur Zentimeter von meinem entfernt.
© Pauline Herold 2023-10-09