von Maria Büchler
Als ich vor einem Vierteljahrhundert nach Luzern übersiedelt bin, hab ich doch glatt geglaubt, als Vorarlbergerin keine Schwierigkeiten mit der helvetischen Sprache zu haben. Schliesslich hört und sieht man im Grenzgebiet oft den schweizer Rundfunk oder hat mit Grenzgängern zu tun.
So war es doch anzunehmen, dass es bei der sprachlichen und räumlichen Nähe hüben und drüben des Rheins keinerlei Missverständnisse geben würde. Ich sollte mich schwer täuschen!
Wie ich bald merkte, konnte ein und derselbe geläufige Ausdruck in der Schweiz etwas ganz anderes bedeuten. Was mich in meinen Anfangsjahren ganz schön irritiert hat.
Nehmen wir etwa den Satz, «Ich bin von der Eisenbahn angefressen.» Wenn das ein Österreicher sagt, bedeutet es, dass er sich über die ÖBB oder ihre Benutzung sehr geärgert hat.
Beim Schweizer ist das pure Gegenteil der Fall. Er ist begeistert und könnte nicht genug Zug fahren. Oder Wagenmodelle sammeln und mit ihnen die Gornergrat-Bahn im Modell nachstellen.
Beim Lesen der Luzerner Zeitung blieben meine Augen an einer Überschrift haften: «Von den Ameisen angefressen». Wie? Hatten sich die Viecher an einer Person gütlich getan? Keineswegs! Hier wurde von einem Mann berichtet, der sich gern mit den kleinen Tierchen beschäftigte.
Oder die Frage, „Wohärä gohsch?“ Wörtlich heisst das, woher gehst du, und heisst in Wirklichkeit: Wohin gehst du?
Ein anderes Beispiel:
Franz Josef sucht den richtigen Weg für ein mathematisches Problem, denkt nach, sinniert hin und her. Annamirl sieht das und will es ihm in anderen Worten näherbringen. Dabei stört sie ihn ungewollt in seinen Gedankengängen, sodass er ärgerlich seufzt: «Jetzt bin ich drausgekommen!»
Beat kapiert eine Rechenaufgabe nicht. Sein Kollege Urs steht ihm erklärend bei und erläutert die Lösung wieder und wieder. «Jetzt bin ich drausgekommen!» meint Beat. Er hat es nun endlich kapiert und ist glücklich.
Sind Sie bedient? Wenn das in der Schweiz eine Servicekraft fragt, bedeutet das: Haben Sie alles, was Sie brauchen, war alles recht? In Deutschland und Österreich hingegen sind wir unzufrieden und eher verärgert, wenn wir ausrufen: Ich bin bedient!
Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass in französischen Restaurants der Gruss aus der Küche Amuse Gueule genannt wird. Die Schweizer hingegen sagen vornehm Amuse Bouche. Dabei führen sie ins Feld, Gueule sei ein grober Ausdruck und bedeute Maul.
Das ist richtig, doch finde ich diesen Einwand unverständlich. Denn wenn ein Krankenpfleger ein Medikament direkt oral verabreicht oder die Zahnärztin in den Patientenmund schauen will, wird man ganz vulgär aufgefordert: „Machet Sie’s Muul uf!“ Warum dann so zimperlich beim Essen?
Eines aber ist unseren Ländern immerhin gemeinsam. Die beiden Flaggen haben dieselben Farben, Rot und Weiss. Als ich einmal darauf hinwies, wurde mir sofort entgegengehalten: «Das schon, aber unsere Fahne zeigt ein Plus und eure ein Minus.»
Heil dir, Helvetia!
© Maria Büchler 2020-09-10