von Julia Ranevski
Dann geschah alles ganz schnell, als hätte man die Zeit wieder in den Normalzustand versetzt.
Sandra stürzte zu der sich am Boden windenden Becca, die ihren Unterleib umschlang. Ich folgte Sandras Beispiel, voller Sorge und Entsetzen und überfordert mit der Situation, die wie aus dem Nichts zustande gekommen war. Im Hintergrund hörte ich Bruchstücke von Eriks Gespräch mit der Notrufzentrale, währenddessen fehlte von Millie jede Spur.
Wie auf Fotos, deren Konturen mit der Zeit nach und nach verschwammen und damit jegliche Realität einbüßten, vergingen die nächsten Stunden, die wir hauptsächlich im Krankenhaus zubrachten.
Mitten in meiner eigenen Behandlung wurde das durchweg schrillende Handy von Becca, das in der Tasche, die wir geistesgegenwärtig mitgenommen hatten, zum Problem, sodass ich, ohne nachzudenken, den Anruf eines gewissen Frank entgegennahm. Was ich aus dem wasserfallartigen Gerede heraushörte, war, dass es sich hierbei um Beccas Affäre handelte und nachdem ich ihm von Beccas Zustand berichtet hatte, wollte er umgehend den Namen des Krankenhauses wissen.
Ich seufzte und drückte die Taste zum Beenden des Anrufs. Es war ein befremdliches Gefühl keinerlei harte Empfinden zu haben gegenüber diesem Mann. Da waren keine Anzeichen von Wut, Hass oder Eifersucht. Nur Erleichterung und Freude darüber, dass Jemand da sein würde, der sie in dieser schweren Zeit unterstütze. Soweit ich das mitbekommen hatte, hatte Becca eine Fehlgeburt erlitten.
Die Puzzleteile fügten sich allmählich zusammen und das war gut so.
„Hey.“
Erik linste in den Behandlungsraum, sobald der Arzt verschwunden war. Dabei sah er so ängstlich und nervös drein, dass es mich amüsierte. Bis mir seine aschfahle Haut auffiel und die manischen Augen. Das Grinsen verging mir, als ich mir bewusstmachte, dass er womöglich Krankenhäusern anders gegenüberstand als vor seinem Unfall.
„Hey“, entgegnete er, der Konflikt, ob er eintreten sollte oder nicht, war ihm deutlich anzusehen.
„Ich hoffe du stehst auf Typen mit Narben“, sagte ich und hielt meinen bandagierten Arm hoch. Zwar versuchte ich die Situation ins Lächerliche zu ziehen, an der Umsetzung scheiterte es aber spätestens dann, als Erik mit der Zunge schnalzte. Peinlich berührt sah ich weg. Erik nutze die Gelegenheit, um unauffällig einzutreten.
Er hatte sich so leise bewegt, dass ich zusammenzuckte, als er vor mir auftauchte. „Wie geht es dir?“, wollte er wissen und streckte die Finger nach dem schlichten Verband aus. Wie mit Flügeln eines Schmetterlings fuhr er darüber, fast so, als hätte er Angst weiteren Schaden anzurichten.
Ich zuckte mit den Achseln. „Das Betäubungsmittel wirkt noch. Frag mich in ein paar Stunden nochmal.“
Plötzlich fand ich mich inmitten von Armen und an eine Brust gedrückt. Es schnürte mir fast die Luftzufuhr ab, so fest klammerte sich Erik an mich. Sofort bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen.
© Julia Ranevski 2023-02-22