von Neo
Erschöpft lehnte ich an der Tür meines Zimmers. Tief ein und wieder ausatmen. Mein ganzer Körper zitterte immer noch und es brauchte eine Weile, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte. Der Schock saß noch tief. Das konnte unmöglich geschehen sein! Ich war erschöpft. Mein Verstand musste mir einen Streich gespielt haben. Mein Blick schweifte zum Kalender. Da, heute war Vollmond. Ein Trugbild. Eine logische Erklärung. Zumindest, wenn ich mir das selbst hätte glauben können. Ich weiß nicht, was das war, aber ich war live dabei gewesen und hatte alles gespürt. Meinen zitternden, angespannten Körper, die Windzüge auf meiner Haut und das Flüstern an meinem Ohr. So etwas konnte man sich nicht ausdenken. Egal wie viel Mond und Müdigkeit dabei eine Rolle spielten. Das war real gewesen. Und das realisierte ich erst in diesem Moment. Im nächsten schon liefen mir Tränen die Wangen entlang und beteten sich ein Wettrennen. Ich hätte tot sein können. Dieser Gedanke festigte sich immer mehr, kämpfte sich an die Oberfläche, bis er schließlich meinen Mund verließ. „Ich hätte tot sein können!“, wisperte ich. Immer und immer wieder. Ich lachte, weinte, zitterte zugleich und tastete mich immer wieder ab. Schon wieder: „Ich hätte tot sein können!“. Doch dann: „Ich lebe!“. Es brauchte eine Weile, bis sich dieser Gedanke durchgerungen hatte. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich gebraucht hatte, doch irgendwann raffte ich mich auf. Wie in Trance ließ ich das Rollo nach unten gleiten. Mir entwich ein verstörtes Lachen, während ich mir ein kühles Glas Wasser holte und es in einem Zug leerte. Danach tunkte ich meinen Kopf in ebenso kaltes Wasser und füllte mein Glas erneut auf. Langsam aber sicher klärte sich mein Kopf wieder etwas auf. Als ich ganz bei Bewusstsein war, überkam mich allerdings keine weitere Welle der Emotionen. Mein Kopf schien fürs Erste alles verarbeitet zu haben. Bis die Alpträume heute Nacht in meinem Kopf spukten. Völlig erschöpft sackte ich auf meinem Stuhl zusammen. Kurz entschlossen griff ich einen Zettel und suchte nach einem Stift. Keine Frage: Ich musste aufschreiben was heute Abend passiert war. Das half mir meistens, die Erlebnisse zu verdauen. Während ich nach einem Stift suchte, fiel mir eine Schatulle ins Auge. Sie war schwarz, verziert mit edlen, goldenen Linien. Zwischendurch blitze auch etwas Silber hervor. Vorsichtig fuhr ich über das Material. Es war Samt. Ich war mir zu tausend Prozent sicher, dass ich so etwas nicht in meinem Besitz hatte. Meine Neugier trieb mich dazu den Deckel vorsichtig zu heben. Er rutschte vom Rest des Kästchens und gab ein Seidentuch zum Vorschein, hinter dem sich etwas verbarg. Auch das hob ich ganz sachte an und legte es zur Seite. Darunter lag ein Füller. Ich hatte ihn zwar nicht gekauft, aber er lag auf meinem Schreibtisch. Also gehörte es doch mir, oder? Ich brauchte sowieso gerade einen Stift und fand meine nicht. Da kam mir der Füller doch gelegen. Meine Finger berührten das kühle Metall, um es behutsam aus seinem Kissen zu befreien. Kaum hatte ich den Stift angehoben, lies ich ihn erschrocken los, doch er fiel nicht auf den Boden. Er schwebte in der Luft, schwenkte ein paar mal hin und her und steuerte dann gezielt auf das Papier zu, das ich bereitgelegt hatte. Dort angekommen, begann er zu schreiben. Die Tinte formte goldene Buchstaben einer mir unbekannten Sprache und erhob sich vom Papier. Sie tanzten um mich herum. Ich wusste nur nicht, dass das mein Leben verändert.
© Neo 2023-08-05