von Beate-Luise
Als im letzten Jahrtausend bei Reisen der Weg zumindest noch Teil des Ziels war, war ich meist per Anhalter, Motorrad, Schiff, Bahn oder Fahrrad unterwegs. Mit Anfang zwanzig brach ich auf nach Griechenland. Mit Verwandten im Auto bis Mailand, von dort fuhr ich mit dem Zug allein weiter nach Bari, dann per Schiff nach Patras. Die Überfahrt dauerte zwei Tage. Außer mir schliefen noch andere Rucksackreisende an Deck. Es war wie eine lange Party: Wir redeten, hörten Musik, sangen, tranken. Von Patras aus nahm mich eine Motorradclique mit.
Inselhopping, zuerst nach Paros. Drei Tage mit zwei Bayern, mit denen ich ein Haus mietete. Den einen sah ich letzten Herbst nach dreißig Jahren für einen netten Tag auf Kreta wieder.
Danach Tinos. Ich nahm mir ein Zimmer an der kleinen Hafenmole. Tags drauf lieh ich mir ein Moped, erhielt allerdings, weil spät dran, nur eine alte Möhre, die bald schlappmachte. Ich trampte weiter. Als ich abends ins Örtchen zurückkam, saß auf einer Café-Terrasse ein nachdenklicher, blonder Mann und schrieb. Dessen leuchtende Augen waren mir dort schon am Vorabend aufgefallen. Ich setzte mich zu ihm.
Wir hatten sofort Gespräche jenseits des Smalltalk. Es war, als würden wir uns schon lange kennen. Jean-Luc war Franzose, Englischlehrer, deutlich älter als ich. Als es kühl wurde, gingen wir zum Essen in ein Restaurant. Ich trug noch immer meine Strandklamotten, aber es bedeutete nichts. Wir redeten stundenlang über uns und alles. Jung wie ich war, wusste ich doch: Das ist ein Seelenverwandter. Bei seltenen Sprachbarrieren verstanden wir trotzdem, was der andere meinte. Es fühlte sich an wie Ankommen in einem warmen, heimeligen Haus. Dieses Gefühl tiefer Verbundenheit habe ich mit niemandem mehr erlebt, jedenfalls nie so unmittelbar.
Ja, und da war auch eine große Anziehungskraft. Jean-Luc und ich knutschten leidenschaftlich herum, als er zu seinem Campingplatz und ich in mein Zimmer ging. Ich war zwar kein Kind von Traurigkeit, doch ich spürte intuitiv, dass Sex für diese besondere Begegnung zu profan war. Klingt seltsam, aber so wars. Deshalb sagte ich: „Wenn wir uns wiedersehen wollen, schläft jeder in seinem eigenen Bett.“
So geschah es. Wir verbrachten wunderbare, fast rauschhafte Tage auf der Nachbarinsel Andros. Die Nächte indessen in getrennten Quartieren. Auf dem Moped fuhren wir über die Insel, fanden ein verlassenes Haus und phantasierten über die Gründe des Leerstands. In einer einsamen Bucht legte ich mich einmal auf Jean-Lucs Rücken und wir schliefen so ein, sonnenwarm, einander ganz nah. Abends aßen wir in einfachen Tavernen und hatten laaange, intensive Gespräche.
Dann merkte ich: Nun ist es gut. Ich wollte weiter, allein.
Zurück in Deutschland erhielt ich noch ein paarmal Post von ihm, darunter die schönsten Liebesbriefe, die ich je bekommen oder gelesen habe und bis heute hüte wie einen Schatz. Danach brach der Kontakt ab. Trotzdem ist mir der Zauber dieser Begegnung unvergesslich.
© Beate-Luise 2019-04-11