von Daniela Krammer
„Einmal im Jahr musst du mich ans Meer bringen“ flüsterte ich dem Mann ins Ohr. Er hatte mir gerade das Handtuch um die Schulter gelegt, als ich aus den Fluten des Wassers stieg. Das Wasser jenes Meeres, nach dem ich seit meiner Kindheit Sehnsucht hatte.
Italien, Strand, Meer, soviele Geschichten hörte ich als Kind über jene Plätze mit diesen klingenden Namen: Jesolo, Bibione, Grado. Orte weit jenseits der Vorstellungskraft eines kleinen Mädchens, aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Oberösterreich, ihre Ferien verbracht in den Bergen der Heimat. Mit diesen Bergen und der Schönheit dieser Naturgewalten verbindet mich heute noch immer eine intensive Beziehung. Aber dieses eine Mal jedes Jahr am Meer sitzen, stundenlang den Wellen beim Kommen und Gehen zu bestaunen, diese unendliche sanfte Gewalt zu erleben, diese Sehnsucht begann in diesem Jahr an diesem Platz.
Vorausgegangen war ein sehr spontaner Entschluss des Mannes an meiner Seite, nach 2 Wochen Beziehung mit mir seiner Schwester in Torre des Lago einen Besuch mit Freundin anzukündigen. Wenige Wochen später sitzen wir in seinem kleinen hellblauen Opel und machen uns auf den Weg. Wir lassen jene Orte, die ich aus meiner Kindheit dem Namen nach kenne, links liegen. Bologna, Florenz, das ist die Richtung, die wir nehmen. Endlose und doch sehr kurzweilige Stunden im Auto.
Unsere erste gemeinsame lange Autofahrt – nirgends lernt man sich besser kennen. Ich übernehme das Steuer ausgerechnet auf der Fahrt über die Berge – innerliche Schweißausbrüche. Aber natürlich versuche ich mir nichts anmerken zu lassen. Immerhin bin ich in diese Beziehung als selbstständige, sehr selbstbestimmte Frau gegangen. Da kann ich doch nicht klein beigeben, nur weil tonnenschwere LKWs und enge Kurven UND ein ungewohntes Auto meine Fahrkünste prüfen. Der Mann an meiner Seite ist als Beifahrer aber eben so ungeübt wie ich als Fahrerin auf italienischen Straßen. Zum Glück übernimmt er nach etwa 2 Stunden wieder.
Es wird schon Abend, als wir endlich die kleine Stadt erreichen.Wir fahren direkt zum Meer wie mit der Schwester ausgemacht. Sie ist dort mit ihren 2 bambini schon den ganzen Tag. Die kleine Nichte wird am nächsten Tag ein Bild malen von mir, wie ich mit meinem roten Badeanzug mit großen Sprüngen direkt ins Meer laufe und verzückt ins Wasser sinke – scheint Eindruck hinterlassen zu haben. Ich kann diese Welle noch heute spüren, die mich nicht nur außen sondern auch innerlich durchspült.
Einmal im Jahr ans Meer, einmal hinausschauen und Unendlichkeit spüren, einmal hinein sinken und spüren, wie dieses Wasser uns mit allen und allem verbindet. Es ist nicht jedes Jahr das Meer in Italien, auch die Nordsee hat ihre Reize. Und die felsigen Küsten von Kroatien oder Korsika haben auch mein Herz erobert. Aber angefangen hat diese große Sehnsucht und Liebe genau hier in Torre del Lago. Und der Mann, der mich hierher gebracht hat, ist nach 20 Jahren noch immer die Liebe meines Lebens.
© Daniela Krammer 2019-12-08