von Elena Jordan
Liebe Madeleine,
ich sitze, die Beine verschränkt, auf meinem weinroten Chelsea Sofa im Wohnzimmer. Der bunt überglaste Panzer meiner Schildkröten Lampe auf der Fensterbank, wirft ein warmes Muster entlang der weißen Wände. Es riecht nach Patschuli.
Ein tiefer Atemzug und ein beständiges Kribbeln steigt entlang meiner Nase in den Kopf. Kennst du diese Tage, an denen das Leben sich nicht wie Leben anfühlt, sondern wie „sein?“. Nur„sein“. Ich bin hier auf dem Sofa. Nirgendwo sonst. Liege ich im Garten unter dem alten Birnenbaum dann liege ich nur dort. Fahre ich über die lange Landstraße hinüber auf die Feldwege, benebeln mich reifer Weizen und Schafgabe. Ich fahre Fahrrad, nichts sonst. Solche Tage sind selten, verbringe ich die meiste meiner Zeit doch mit meiner Vergangenheit und Zukunft.
Wir „sind“ so selten, Madeleine. Oder ich bin es zumindest. Meine Ängste erklimmen täglich windige Höhen, nur um mich in gähnende Tiefen fallen zu lassen, so viel Mühe geben sie sich. Ihre langen Spinnenfinger greifen meine Arme und schleppen mich Hang über Hang, Fels für Fels weiter hinauf. Doch nicht an solchen Tagen. An solchen Tagen sind sie fort. Ich bin alleine, und ich „bin“ ich selbst. Meine Seele sitzt auf einem kleinen Hügel, gerade hoch genug um alles um mich herum zu erblicken. Zu meinen Füßen plätschert ein gläserner Bach und ich weiß, kein Fall wird mich aus der Fassung bringen, keine Angst kann mich höher als bis hierhin tragen. Ich beuge die Hände über meiner Stirn. In der Ferne lodern Flammen. Zischend beißen sie sich durch totes Holz am Berghang, durch verblasstes knisterndes Laub. Es ist viel harmloser als du denkst, sage ich mir, wenn die Angst vor dem Feuer größer wird. Spuckend und prasselnd züngelt es hoch in die Wolken, aber meine Füße hat es noch nie erreicht. Nie. So funktionieren Ängste, sie sind aufgebauscht und hinterlistig und so halte ich selbst an Ihnen fest, lasse sie Gestalt annehmen. Drehe ich mich um, blicke ich in dieselben Flammen, doch auch diese sind nicht echt Madeleine und so schließe ich die Augen. Atme ein und aus und sitze wieder auf meinem Sofa.
„Sein“ ist so viel schöner. Hier wachsen Bäume und klaffen blaue Himmel und hier kann ich werden, was ich will, ohne Ängste und Bedauern. Hier gibt es keine tiefen Abhänge und fern brennende Landschaften, hier gibt es nur Zuversicht und Mut, ganz viel Mut der einen irgendwann erkennen lässt, dass dieses ganze Flammenmeer nur im eigenen Kopf wütet.
Heute „bin“ ich, Madeleine und ich werde nicht damit aufhören!
© Elena Jordan 2023-09-01