von Barbara Prinz
Es war so weit. Ich hatte den Termin selbst vereinbart. Ich hatte keine andere Wahl. Hatte ich wirklich keine andere Wahl? Damals, an diesem Tag sah ich nur diesen Weg. Wie konnte es so weit kommen?
Es geschah alles gleichzeitig: Mein Partner war von heute auf morgen arbeitslos geworden. Das lieĂ ihn schwer und dĂŒster in die Zukunft blicken. Und als ich ihm sagen wollte, dass ich ein Kind erwartete, unser Kind, schnĂŒrte es mir die Kehle zu. Ich wusste, spĂŒrte seine Antwort. Deshalb ging ich mit ihm spazieren, da redete es sich normalerweise leichter.
Er mochte Kinder, das wusste ich. Was ich nicht wusste: er wollte, konnte, durfte nicht – genau in diesem denkbar ungĂŒnstigsten Zeitpunkt – Vater werden. Das GesprĂ€ch endete genauso, wie ich es geahnt hatte: Er sagte âNeinâ. Ich war geschockt. Meine TrĂ€nen liefen ununterbrochen. Ich war schwach.
Es war so weit. Ich hatte den Termin selbst vereinbart. Er begleitete mich. Ich fĂŒhlte mich hundeelend, alles in mir zerrte an mir. âWas mache ich da, wieso gehe ich hier hinein? Warum laufe ich nicht weg? Wie konnte ICH so weit kommen?â Es war ein Albtraum. Ich wurde aufgeklĂ€rt. Und ich weinte unaufhaltsam TrĂ€nen ĂŒber TrĂ€nen. Mich verwunderten die Frauen dort, die dort arbeiteten. Sie erklĂ€rten mir den folgenden Ablauf. Aber sie fragten nicht nach. Mein damaliger Partner saĂ neben mir, stumm, verkrampft. Kein Laut kam ĂŒber seine Lippen. DafĂŒr schĂŒttelte es mich, mein gesamter Körper schmerzte. Vor Angst. Im Wissen, das Falsche zu tun. Im Wissen, mir selbst den grössten Schmerz zuzufĂŒgen. Ich hatte aufgegeben. Ich hatte mich und mein Kind aufgegeben.
Mich verwunderten die anderen âPatientinnenâ dort. Die meisten saĂen ziemlich ruhig im Warteraum. BlaĂ waren alle. Und ich war die einzige Frau, die sĂ€mtliche Taschentuchpackungen verbrauchte, die ich kriegen konnte. Der TrĂ€nenstrom schien nie versiegen zu wollen. Ich stellte noch einmal die Frage, die ich bereits x-mal gestellt hatte: âIst es die einzige Möglichkeit? Bitte, lass es mich behalten…â. Er schĂŒttelte den Kopf. Er blieb beim âNeinâ.
In dem Moment hatte ich mich selbst verloren. Obwohl ich da war, als Mensch, als Person. In dem Moment hatte ich den Faden zu meiner Seele im grauen Nebel verloren, obwohl der Faden immer da war. Ich wurde aufgerufen.
Die Kabine war frei, ich durfte meine Kleidung ablegen. Und irgendwie lieĂ ich mein ICH auch gleich dort am HĂ€ufchen Gewand fallen. Um nichts zu spĂŒren. Um nicht loszuschreien. Und weglaufen konnte ich nicht mehr. Meine Beine, mein Körper, alles war kraftlos. Mit einer leichten Sedierung war ich ruckzuck der Wirklichkeit entzogen, in Watte und GefĂŒhllosigkeit gepackt.
Nach der vorgeschriebenen âLiegezeitâ durfte ich aufstehen, mich anziehen und die Klinik verlassen. Ich funktionierte. Ich funktionierte so gut, dass ich mit meinem Partner gleich danach seinen Sohn von der Schule abholte. Und dann brachte mir meine Nachbarin auch meine Kinder zurĂŒck. Und diese sind mein ganzes GlĂŒck.
© Barbara Prinz 2019-10-22