von Petra Mundmann
Ich erinnere mich noch sehr gut an einem Wochentag, als ich allein mit Oma zu Hause war. Plötzlich hörte ich, wie Oma ganz aufgeregt durch die Wohnung lief und immer wieder die ToilettenspĂŒlung bediente. Oma wollte den MĂŒlleimer entleeren. Aber statt die MĂŒlltĂŒte drauĂen in die MĂŒlltonne zu werfen, nahm sie den MĂŒllbeutel und schĂŒttete den Inhalt in die Toilette. Nun versuchte sie, den MĂŒll die Toilette herunterzuspĂŒlen, indem sie immer wieder die SpĂŒlung betĂ€tigte. Dies funktionierte aber nur zu teilweise. ZunĂ€chst versuchte ich Oma klarzumachen, dass das, was sie gerade tut, nicht erfolgreich sein wird. Dies verstand sie nicht. Diejenigen, die sich schon mit Demenzkranken beschĂ€ftigt haben, wissen, dass RatschlĂ€ge nicht angenommen werden. Befehle fĂŒhrten auch nicht weiter und Oma wurde eher noch emsiger und sie versuchte immer unruhiger werdend, das zu tun, was ihr durch den Kopf ging. Es gelang mir schlieĂlich, Omas Aufmerksamkeit auf ein anderes Problem zu lenken, sodass sie den MĂŒll in der Toilette vergaĂ.Â
An einem anderen Tag hat Oma MĂŒllbeutel aufgeschnitten, da sie die Plastikbeutel nicht öffnen konnte und sich nicht anders zu helfen wusste. Als sie dann einige Tage spĂ€ter die gefĂŒllten MĂŒllbeutel zur MĂŒlltonne bringen wollte, ist natĂŒrlich der ganze MĂŒll unten durchgefallen.
Oma beschÀftigten meistens Dinge, die etwas mit Haushalt und Putzen zu tun hatten. Der Haushalt spielte in Omas Leben die zentrale Rolle. Wir sagten immer, dass Oma einen Putzfimmel hat. Dass das Putzen und Kochen in Omas Verhalten stark verankert ist, wird zu einem spÀteren Zeitpunkt erneut deutlich werden.
Schlimme Dinge, vor denen man Angst hat, wie z.B. Herd anlassen, Weglaufen usw. sind nicht passiert.
Stattdessen litt Oma immer hĂ€ufiger unter unspezifischen körperlichen. Eine Ursache hat man, auch im Krankenhaus, nicht gefunden. Sie klagte mehrmals ĂŒber heftige Schmerzen beim Wasserlassen. Ein Harnwegsinfekt konnte nie nachgewiesen werden. Erst spĂ€ter wurde uns klar, dass hinter diesen Schmerzen, andere Symptome, eher psychiatrischer Natur, steckten, die Oma natĂŒrlich selbst nicht einordnen und einschĂ€tzen konnte. Aber im Nachhinein und durch die Informationen, die wir im Laufe der Zeit ĂŒber die Erkrankung und das Verhalten Demenzkranker erfuhren, interpretierten wir ihr Verhalten als eine Art Projektion. Sie hat gemerkt, dass mir ihr etwas nicht stimmt, sie konnte dies jedoch nicht richtig einordnen und beklagte stattdessen körperliche Symptome, die ihr dann unsere Aufmerksamkeit brachten. Vielleicht war es auch immer ein unbewusster Hilferuf. Viele Demenzkranke merken in der Anfangsphase, dass ihr Erinnerungsvermögen schwindet und alltĂ€gliche Dinge nicht mehr so funktionieren wie bisher. Ob Oma jemals in einer solchen Phase war, wissen wir nicht, da sie nicht mit uns darĂŒber gesprochen hat. Sie schwieg stattdessen. Je schlimmer die Demenz wurde, desto weniger sprach Oma mit uns.
© Petra Mundmann 2024-01-13