An der Grenze steht ein Heim mit 30 Fliehenden, seit Donnerstag. Die Menschen haben sehr viel Angst und das vielleicht auf beiden Seiten. Ich gehe laufen. Ich laufe sehr lange und denke dabei sehr viel nach. Ich laufe an einem Teich vorbei und am Ufer sitzt Thomas. Thomas war mit mir in der Hauptschule und trinkt gerne Alkohol, was er mir damals auch in der dritten Klasse in mein Freundschaftsbuch geschrieben hat. Lieblingsgetränk: Alkohol. Er winkt mir zu und fragt mich, ob ich schon von dem Heim an der Grenze gehört habe. Ich nicke und möchte mit meinen Beinen und eigentlich generell mit meinem ganzen Körper weiterlaufen, um einer wahrscheinlich sehr unangenehmen Unterredung aus dem Weg zu gehen. Ich nicke und sage nichts und blicke auf meine Pulsuhr. Thomas sagt scheiße, er verstehe nicht, warum das Heim genau hier sein soll. An der Grenze, wo doch alle Menschen eigentlich dagegen wären, bis auf ein paar unverbesserliche Gutmenschen und Träumer und Linke. Mein linkes Bein möchte sich von Thomas wegbewegen und gleichzeitig auch mein Körper, er sagt mir, heute gäbe es eine Feier bei Michael, da die Zeltfeste ja jetzt zu Ende sind und daher sei es eine Art Trauerfeier, da alle deswegen sehr traurig wären.
Da ich auch Anja auf der Feier vermute und ich Anja sehr schön finde, aber noch nie mit ihr gesprochen habe, da sie sehr schön ist und mich das nervös macht, beschließe ich, zu dieser Feier bei Michael zu gehen. Es ist früher Abend und alle sind schon sehr betrunken, als ich zur Feier komme. Die meisten registrieren meine Ankunft nicht, da es grundsätzlich keine Registrierungspflicht gibt und daher gebe ich auch keine Fingerabdrücke ab.
Ich setze mich neben irgendjemanden und bemerke, dass keine Anja auf der Feier ist und ich generell nur zwei Personen kenne, Thomas und Michael. Michael liegt bereits auf der grünen Couch und schläft. Thomas geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach und trinkt sehr viel Alkohol. Ich hoffe, dass mich niemand bemerkt und fühle mich wie ein Fremdkörper oder wie ein Tumor, der hier eigentlich unerwünscht ist. Der irgendjemand neben mir heißt Daniel und erkundigt sich zunächst höflich bei mir, warum ich denn kein Bier trinke. Ich entgegne ihm zunächst auch höflich, dass ich grundsätzlich in meinem Leben kaum Alkohol konsumieren würde, was bei Daniel die Frage aufwirft, ob ich denn schwul sei. Das bringt ihm sehr viele Lacher ein und alle haben mich nun bemerkt. Viele Männer in meinem Alter klopfen Daniel für diese sehr lustige Pointe auf die Schulter und trinken danach acht Schlücke bei ihrem Bier, was sie wahrscheinlich von Heinz gelernt haben, der als Mechaniker und Alkoholiker Vorbild für alle ist. Der Vater von Michael, der auch Michael heißt und den Namen von seinem Großvater hat, bringt zwei volle Kisten Bier in die Hütte und alle jubeln ihm zu, als ob er gerade zwei volle Kisten Bier in die Hütte getragen hätte, was er ja auch wirklich getan hat und daher ist der Jubel auch nicht unberechtigt.
© Benedikt Mitmannsgruber 2021-07-06