von Anko
Ein feiner Streifen des Mondlichtes kreuzte die Kuppel aus warmer Farbe der hängenden Glühbirne. Der bereits erkaltete Kaffee spiegelte sich glanzlos im Antlitz der Lichter, daneben die sauberen Abschriften der heutigen Vorlesungen. Kaia mühte sich regelmäßig bei der Aussprache der zahlreichen lateinischen Begriffe, worüber sie nun nur unbewusst die Augen bewegte. „Du bist doch wahnsinnig geworden!“, eine ausfallende Geste erweckte die einstige Stille im Raum und belebte ihren vor Müdigkeit erschlafften Geist. „El“, die Brünette wich unsicher an die hölzerne Anrichte. „Du kannst doch keine Fremden von der Straße aufsammeln?!“, Eleonores fiebernde Stimme erreichte ihren Höhepunkt. Hektisch umschloss die eben noch durch die Luft streifende Hand, das abgestandene Getränk innerhalb der bedruckten Keramiktasse. Auf der Vorderseite prangten chemische Zeichen, abgerundet mit einem wissenschaftlichen Gag. „So gesehen war es nicht die Straße, er saß in der Bar“, murrte die unbedachte Verursacherin der Situation leise vor sich hin. Ihr Augenmerk lag auf dem ehemaligen Geschenk, dass die Trinkende auch schon wieder mit einem strafenden Blick auf dem Tisch sicher abstellte. „Weißt du eigentlich, wie fahrlässig dein Handeln ist?“, kaum war die schale Brühe hinuntergeschluckt perlte erneut die blanke Ernsthaftigkeit auf ihrer Mimik. „Er war verletzt, El!“, Kaia wusste, dass es kaum eine glaubhafte Rechtfertigung geben würde, außer dem Adrenalin, dass ihre Entscheidung beflügelt hatte. „Genau, deswegen sollte er in ein Krankenhaus und nicht blutend in deinem Bett liegen!“, die Ältere raufte sich erschöpft durch die feinen roten Strähnen. Wohin sollte das Gespräch führen? „Er kann nicht“, es war nur noch ein zartes Flüstern, was zwischen ihren gepressten Lippen drang. Die Tatsache musste nicht ausgesprochen werden, um alle roten Alarmglocken läuten zu lassen, sie wusste, dass es falsch war. Doch sobald die Kellnerin ihre Lider schloss, tauchte das klare Bild seiner todgeweihten Verzweiflung auf. Ein leerer Ausdruck, innerlich gebrochen von der Hilflosigkeit seines schmerzenden Körpers. „Merkst du was? Er ist ein verdammter Verbrecher! Oder ein Mörder?! Hast du daran mal gedacht?“, nur langsam glomm die aus Panik und Unverständnis geborene Wut ihrer Mitbewohnerin ab. Die nächtliche Erschöpfung kämpfte sich zurück an die Oberfläche ihrer Gesichtszüge. „Es tut mir leid El“, Kaia hatte sich den Fehler bereits beim Übertreten der rüstigen Türschwelle eingestanden und doch zehrte der sehnlichste Wunsch auf ihren versiegten Mundwinkeln. „Aber du kannst ihm helfen, oder?“, ein schwaches Zögern erfüllte die Stimmbänder der Jüngeren. Zunehmend erreichte die kalte Realität ihre Gedanken und brachte die zarte Angst einer Ablehnung hervor. Es war ein schlichtweg zu widerndes Nicken, das die studierende Assistenzärztin abschüttelte, ehe sie erneut den letzten Schluck kalten Koffein genoss.
© Anko 2022-08-26