von Pia Holter
Die Tage sind lang, aber die Jahre sind kurz. Das klingt so nett. Und es ist ja auch wahr. In den wenigsten Fällen sind uns 18 Sommer mit unseren Kindern vergönnt. Diese Zahl macht mich manchmal wehmütig und setzt vieles in Relation. Tatsache ist, wir verklären die Erinnerung an die erste Zeit mit Kindern. Schon aus Selbstschutz und unterbewusst wohl zum Schutz der Spezies. Denn eins ist klar. Es gibt sie, die harten Zeiten. Es gibt sie, die langen Nächte und ewigen Tage. Und an diesen Tagen sind Sätze von Müttern mit 16-Jährigen, die meinen „Genieß die Zeit! Sie werden so schnell groß. Ich muss meinen mittags mühsam aufwecken.”, circa so hilfreich wie wenn man jemandem mit Depression sagt: „Du hast gerade nur eine schlechte Phase. Probier es doch mal mit einer Dankbarkeitsübung.”
Ich habe unzählige Bücher zum Thema Babyschlaf gelesen, es gibt wirklich niemanden der in der ersten Zeit mit Baby nicht irgendeine Theorie oder heißen Geheimtipp für einen parat hat und es gibt nur einen Rat, den ich für mich als wirklich hilfreich herauskristallisieren konnte: Entscheide dich für deinen Weg und lass dir nicht zu viel einreden. Und ja, ich weiß, ich versuche gerade selbst, dir etwas einzureden. Glaub mir oder lass es. Es tut mir leid.
Es gibt so viele Mythen rund um Babyschlaf wie es Babys gibt und es gibt nur zwei Arten von Müttern. Diejenigen, die hadern und diejenigen, die handeln. Die Mütter, die hadern sind permanente Opfer ihrer Kinder. Sie übertrumpfen sich gegenseitig darin festzustellen, wie arm und erschöpft sie sind. Wenn ich einer dieser Frauen sage, dass ich mit unserer Schlafsituation zufrieden bin, kann ich bei ihren Blicken nachempfinden, wie sich Frauen mit roten Haaren in Zeiten der Hexenverfolgung gefühlt haben müssen. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die, die handeln, dürfen natürlich auch mal jammern. Das kann heilsam sein. Der große Unterschied ist nur, dass diejenigen, die handeln, die Verantwortung für den Schlaf der Familie übernehmen. Sie sagen sich: So will ich das machen und damit kann ich auch leben, weil ich es so für richtig halte. Babys wünschen sich Routinen und Verlässlichkeit. Dafür musst du wissen, was du willst und dann bleib dabei. Welcher Weg auch immer zu maximalem Schlaf für alle führt, ist der richtige für euch. Kein Kind hat etwas von einer übermüdeten Mutter, die die Erwartungen anderer erfüllt.
Mich entlastet auch der Vergleich mit Erwachsenen. Genug haben selbst (Ein)Schlafprobleme. Babys erinnern uns daran, die tägliche Reizmenge zu überdenken, mit der wir uns belasten, zu überlegen, was uns im Leben Sicherheit gibt und vor allem daran, Loslassen zu lernen. Ich übe mich immer noch darin, wirklich loszulassen und mich fallen zu lassen. Im schnellen Einschlafen zumindest bin ich mittlerweile Weltmeisterin, wenigstens eine von uns.
P.S. Mein Notfalltipp: Ich visualisiere den Moment, wenn ich meine Söhne mit 16 aufwecke und sage: „Zeit, mir einen Kaffee zu kochen!”
© Pia Holter 2021-07-04