Bei Freilichtspielen in der zweiten Reihe zu sitzen, bietet dem Premieren-Besucher zahlreiche Vorzüge. Er sieht alles (das reichlich bemessene Theaterblut etwa), hört alles (falls die Souffleuse mal wortgewandt eingreifen müsste), riecht alles (Trockeneisnebel). Und er befindet sich in prominenter Gesellschaft. Der bekannte Herr schräg vor mir nahm mir keineswegs die Sicht, er schwatzte nicht und auch sonst verhielt er sich vorbildlich. Doch war er nicht allein gekommen, sondern in Begleitung eines Leibwächters. Und der saß direkt neben mir. Groß, muskulös, durchaus freundlich. Ein Bodyguard, also ein „Körperbeschützer“. Du lieber Himmel, schoss es mir durch den Kopf, muss ich mir Sorgen machen? Sitze ich am End` an einem Ort, an dem mit Terror, Gewalt und Kampfhandlungen zu rechnen ist? Abseits der zahlreichen Gemetzel, die der Berlichinger Götz und seine Mannen unter meinen Augen auszufechten hatten? Trotz der noch immer drückenden Hitze fröstelte mir. Aber, so fragte ich mich weiter, würde der Held neben mir nicht alles geben, im Ernstfall auch mein Leben zu retten? Angespannt saß er da. Bei jedem Kanonenschlag, jedem fliegenden Pfeil, jedem Gewehrschuss, jedem Donnerschlag zuckte er fast unmerklich zusammen. Seine Aufmerksamkeit war wirklich bemerkenswert, sein Blick stets überall gleichzeitig. Mein Schlussapplaus galt auch ihm. Schließlich hatte er alle drohende Unbill von mir abgewendet. Beinah möchte ich dankbar ausrufen: „Heureka, er hat mein Leben gerettet!“
© Gabriele Schneider 2021-02-21