# S̵i̵c̵h̵t̵bare Wut

Vincent Weiß

von Vincent Weiß

Story

Ich wollte weg, mich einfach verduften und ließ mich mit dem Taxi zum Bahnhof fahren: “Na Junge, was bedrückt dich”, fragte mich der Englischsprechende Taxilenker. “I don’t know” ! , gab ich ihm als Antwort und b̵l̵i̵c̵k̵t̵e̵ depressiv gestimmt mit meinen alten verblassten Augen ins leere. Im schweigsamen Gefühlschaos fühlte sich die Fahrt endlos lang an.

Als wir am verqualmten, lauten, mit Menschen überfüllten Bahnhof ankamen, war der Taxifahrer sehr zuvorkommend. Bis zum Ticketautomat begleitete er mich, wo er mir auch anbot, eine Fahrkarte für mich zu lösen. Da ich selber noch nicht wusste, wohin ich eigentlich wollte oder besser gesagt sollte, verneinte ich und bedankte mich für seine hilfsbereite Art. Einen 50 Euro Schein für Notfälle führte ich neben meinem Blindenausweis im Etui immer mit mir. Acht Euro war ich für die Taxifahrt schuldig. Ich habe auf 10 aufgerundet und ihm den 50iger gegeben. Herzlichst erfreut bedankte er sich und gab mir zwei 20 Euro Scheine zurück, sagte er, und verabschiedete sich.

Papa und Benisa riefen mich abwechselnd im Minutentakt an. Dies konnte ich am jeweiligen Klingelton erkennen. Mit gemischten Gefühlen drückte ich die beiden immer wieder weg, bis ich es einfach in Dauerschleife bimmeln ließ.

“Stell das ab , du Spinner!“, wurde mir von der linken Seite mit aggressivem Klang zugeworfen. Von der rechten kam der Spruch, ich solle dorthin, wo ich herkam, und das brachte mich auf die Idee, meine Geburtsplantage zu besuchen.

Im dicht bewachsenen Feld, voller Früchte, bei salzig zitronigen Winden zu sitzen und dabei das Blätterrasseln harmonisierend zum Vogelgesang genießen. JA, das wollte ich.

Zielstrebig und euphorisch bat ich Passanten, mir das Ticket zu lösen. Schnell stand jemand zur Stelle und tippte am Automaten herum: “Das wären dann genau 25 Euro”, sprach eine weibliche Stimme zu mir. Ich übergab ihr zwei 20ig Euro Scheine, die mir der Taxilenker rausgab. Als die Dame mir dann mitteilte, dass es zwei 5 Euro Scheine waren, die ich ihr gegeben habe, konnte ich nicht glauben, was mir da wiederfahren ist. Unter vorgegaukelter Loyalität bestahl mich der Taxifahrer, und ich wusste, dass ich mein Geld nie wieder s̶̶e̶̶h̶̶e̶̶n̶ werde. Unbeherrscht vor Wut irrte ich am Bahnhof herum: “Pass doch auf“, “Trottel”, “Bist du blind”, warfen mir die Menschen lautstark zu, denen ich ungebremst den Weg querte. Mir wurde alles zu viel und ich verfiel in einen unter Tränen stehenden cholerischen Schreianfall, worauf mich die Security rausschmiss. Meine Welt, die bereits gebrochen war, brach in noch kleinere Stücke. Am liebsten wäre ich vor den Zug gesprungen, aber nicht mal das wäre mir ohne Hilfe möglich gewesen. Und nun stand ich vor der einzigsten Option – wieder zurück zu Papa.

© Vincent Weiß 2022-04-06

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