Traumfrau

Günter Zimmel

von Günter Zimmel

Story

Ein fast schon fremd gewordenes, aber wunderschönes Gefühl fängt langsam an, von dir Besitz zu ergreifen. Es ist schon unsagbar lange her, dass du so empfunden hast. Vergessen hast du es aber nie. Wie auch. Du hast dich immer wieder danach gesehnt. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Woche für Woche… Aber auch, wenn es dir schwer fällt, in dieser Situation klar zu denken, stellst du dir immer wieder die Frage, wieso es das Schicksal auf einmal so gut mit dir meint. Womit hast du das verdient? Darfst auch du endlich wieder einmal glücklich sein?

Du kannst dich nicht mehr daran erinnern, wie du sie kennen gelernt hast. Das ist dir aber auch egal. Hauptsache, sie ist bei dir. Heute bei dir. Ganz nah bei dir! Sie streichelt dir sanft durch dein Haar und küsst dich so leidenschaftlich, dass du fast ohnmächtig wirst vor Verlangen nach ihr. Sie ist so wunderschön, so unsagbar schön.

Du ziehst sie sanft an dich und während sie dich mit ihren Lippen verwöhnt, knöpfst du vorsichtig ihre Bluse auf. Ganz langsam. Ihr habt die ganze Nacht Zeit für euch. Ja, Die ganze Nacht! Der dumpfe Kerzenschein im Raum lässt ihren makellosen Körper so zur Geltung kommen, wie du immer schon einen Frauenkörper sehen wolltest. Wie in Trance streifst du ihr das Seidenhemd von ihren Schultern. Ihr leises Stöhnen raubt dir fast den Verstand. Du schließt deine Augen und spürst ihren heißen Atem an deinem Hals, auf deiner Haut. Sanft leckt sie dir über die Brust, streichelt deinen Körper. Du gibst dich ihr bedingungslos hin. Jede ihrer Berührungen lässt dich erschaudern. Diese fast unmenschliche Zärtlichkeit. Du bist berauscht, von Emotionen überwältigt. Sie ist fast unerträglich sanft zu dir. Heute ist eure Nacht, deine Nacht. Niemals zuvor in deinem Leben warst du so glücklich, wie jetzt.

Diese Gefühle! Ja, natürlich. Du kennst diese Gefühle. Sehr gut sogar. Du öffnest Deine Augen. Dir fällt gerade ein, woher du diese Gefühle kennst. Das Gefühl, begehrt und geliebt zu werden. Das Gefühl von Zärtlichkeit und Geborgenheit. Das Gefühl, jemandem ganz nah zu sein. Natürlich kennst Du diese Gefühle. Du kennst sie aus deinen Träumen. Du liegst alleine im Bett und weinst. Wieder einmal. Ja, aus deinen Träumen…

Der Wecker holt dich endgültig in die Realität zurück. Du quälst deinen zitternden Körper ins Bad. Und während du dir die Zähne putzt und dich dabei im Spiegel anglotzt, denkst du an sie, an die Nacht mit ihr, an deine Nacht… Hoffnung lässt dich noch ein wenig tiefer sinken. Du fragst dich, ob sie heute Nacht wieder zu dir kommt, ob sie heute wieder nur für dich da ist, ganz nah. Sie ist doch alles, was du noch hast. Alles, was dir geblieben ist. Alles, was heute noch wichtig ist für dich…

Kraftlos und bekümmert ziehst du die Tür hinter dir ins Schloß und gehst zur Arbeit. Sehnsüchtig denkend an die letzte Nacht. Wieder einmal…

© Günter Zimmel 2019-04-24