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Gregor Demblin

von Gregor Demblin

Story

Die ganze Stadt ist mit Blumen geschmĂŒckt, ĂŒberall wird musiziert, getanzt und gefeiert. Stundenlang spazieren wir gemĂŒtlich durch die Stadt. Schließlich finden wir noch einen Platz in unserer Lieblingsbar. Braungebrannt sitzen wir in der Abendsonne und beobachten die Ruderboote auf dem Guadalquivir. Vor mir stehen ein eisgekĂŒhlter Verdejo und ein paar Tapas. Ich lasse meine Gedanken drei Jahre zurĂŒckschweifen.

Schlecht gelaunt komme ich damals im Lokal an. Ein Arbeitskollege hat ein Buch ĂŒber Fußball geschrieben, und heute ist die PrĂ€sentation. Fußball interessiert mich nicht im Geringsten, und noch dazu versĂ€ume ich eine Party. Das Lokal ist schon gut gefĂŒllt. Ich lasse meinen Blick wandern, auf der Suche nach dem strategisch besten Platz, um schnell und unauffĂ€llig wieder verschwinden zu können.

Hinten beim Ausgang werde ich mich positionieren. Ich drehe eine Runde, begrĂŒĂŸe alle, die ich kenne, und gratuliere meinem Kollegen zu diesem wichtigen Tag. Als er die BĂŒhne betritt, bewege ich mich langsam Richtung Ausgang. Da fĂ€llt sie mir auf: Genau auf meiner strategischen Position steht sie, blonde Kurzhaarfrisur, sympathisch, attraktiv. Vielleicht war es doch kein Fehler herzukommen.

Und es wird noch besser. Sie spricht mich an: „Du bist Fußballfan?“ „Eigentlich gar nicht“, antworte ich, „ich muss hier sein: Der Autor ist mein Arbeitskollege.“ Sie beginnt zu lachen. „Das ist ja lustig. Auch ich bin nur hier, weil ich eine Freundin begleite, die den Autor kennt und hier sein muss. Ich bin Lisa.“

Wir unterhalten uns den ganzen Abend und mĂŒssen zur Sperrstunde als letzte GĂ€ste das Lokal verlassen. Die Party habe ich versĂ€umt. Die Lesung zum grĂ¶ĂŸten Teil auch. Es war ein toller Abend.

Als ich am nÀchsten Morgen aufwache, bemerke ich, dass ich einen fatalen Fehler gemacht habe: Ich habe ihre Telefonnummer nicht.

Monate vergehen.

Doch dann habe ich GlĂŒck, und entdecke sie in einer durchfeierten Nacht auf der TanzflĂ€che eines Clubbings. Zwei Wochen spĂ€ter zieht sie bei mir ein. Im nĂ€chsten Jahr sind wir stĂ€ndig unterwegs, Tauchen in Indonesien, Weihnachten in Hongkong, Sonne tanken in Miami, Dolce Vita in Rom. Und dann entdecken wir Sevilla, diese geschichtstrĂ€chtige, so entspannte, so wunderschöne Stadt.

Wir verwirklichen uns einen Traum, verbringen ein gemeinsames Jahr in Sevilla. Es ist das beste Jahr unseres Lebens. Nie war ich so glĂŒcklich. Wir haben bereits dreimal unsere RĂŒckkehr verschoben, und eigentlich wollen wir gar nicht mehr zurĂŒck. Sollen wir versuchen, uns in Spanien ein neues Leben aufzubauen? Ohne Job, mit schlechten Sprachkenntnissen? Die Vernunft ist dagegen, das GefĂŒhl eindeutig dafĂŒr. Wir können uns nicht entscheiden und werfen in dieser Nacht eine MĂŒnze.

Listen to: Another Sunny Day. Belle and Sebastian

© Gregor Demblin 2020-08-22