Würde es fürs Leben ein Navigationssystem geben, wäre vieles leichter, dachte ich letztens als ich abends auf dem Sofa saß. Nicht weil ich mich in einer Lebenskrise befand, sondern weil ich über Julian nachdachte. Julian ist ein sehr guter Freund von mir und ich liebe ihn über alles. Julian gehört zu den Leuten, die sich für andere den Allerwertesten aufreißen und nicht ein bisschen im Gegenzug dafür erwarten würden. Ein lieber Kerl mit einer Schwäche für Kuscheltiere und einem schallenden Lachen, dass einem die Ohren wegfegen. Und genau weil ich ihn so liebe, denke ich in letzter Zeit so viel über ihn nach.
Julian ist, wie viele Menschen, schon fast besessen davon, neue Dinge zu erleben. Wenn man in einen Tag noch mehr Stunden reinpressen könnte, dann würde er das auch hinbekommen. Was sich witzig anhört, ist aber leider gar nicht so witzig. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, die ein Durchschnaufen oder Genießen kaum zulässt. Und mit dem reißenden Strom werden Menschen wie Julian mitgezogen, für die der Weg nicht das Ziel, sondern eigentlich nur die nächste Möglichkeit ist, aufzubrechen zu neuen Gefilden.
Das hört sich alles furchtbar negativ an, aber es ist die Wahrheit. Julian habe ich das letzte Mal vor vier Wochen gesehen. Er war müde, wie so oft in letzter Zeit, aber auch dann wieder auf dem Sprung. Zur nächsten Verabredung, zur nächsten Ablenkung.
Wir beide sind wie Ying und Yang – unterschiedlich, aber wie zwei Puzzleteile passen unsere Charaktere einfach. Ich bin überhaupt nicht für Abenteuer, ich hasse Neues und wenn ich könnte, würde ich bis zum Ende meiner Tage den gleichen Tagesablauf haben wollen, weil er einfach so schön bequem ist. Julian hingegen bekommt schon zu viel, wenn er nur zwei Tage hintereinander den gleichen Tagesablauf hat, Neues zieht ihn magisch an und so was wie Routine scheint bei ihm gar nicht zu existieren.
Ich habe mal gehört, dass man Menschen nicht ändern kann, sondern sie einfach nur lieben sollte. Auch wenn Julian vielleicht Hummeln im Hintern hat – er ist einer meiner besten Freunde und deswegen habe ich angefangen, seine Art zu schätzen, anstatt sie immer wieder aufs neue zu kritisieren. Dank ihm war ich letztens wieder Inliner fahren. Ich hab mich zwar einmal hingelegt, aber hey – war eigentlich ganz witzig und wir mussten beide lachen. Und als ich ihn letztens anrief, sagte er mir ganz frei heraus: “Ich mag dich so wie du bist.” Und in dem Moment war zumindest ich am Ziel angekommen.
© Kirsten Baumgartner 2022-04-23