Siebenbürgische Identität

Hanna Roth

von Hanna Roth

Story

Du sagst, du könntest nicht verstehen, wo der Unterschied liegt
zwischen dem Aufwachsen in einem osteuropäischen Land mit deutscher Minderheit
und einer österreichischen Kindheit.
Ich auch nicht.
Ich hatte nie die Möglichkeit, das Haus von innen zu sehen,
in dem mein Großvater als Kind schlief
oder das der anderen Oma, das heute noch in der Langgasse steht.
Lies‘ doch mal Iris Wolff, sag ich, oder Herta Müller.
Du kannst auch mitkommen, diesen Sommer.
Natürlich, dieselbe Nostalgie wirst du nicht spüren
wie ich,
aber du bist sensibel
und in Hermannstadt lässt sich 800 Jahre Geschichte verstehen, fast anfassen,
dreisprachige Ortstafeln, Essen vom Balkan, intensive Hitze, andere Luft.
Nein, ich zog mir nie am Sonntag die Tracht an und ging in meinem Dorf damit zur Kirche,
Borten auf dem Kopf.
Ich wurde nicht in Tracht konfirmiert, ich spreche selten unseren Dialekt,
Lauf der Zeit und des Schicksals.
Wäre, ja wäre, ja wäre da nicht der Zweite Weltkrieg gewesen, dann wäre mein Urgroßvater nicht als Soldat gefallen, meine Urgroßmutter hätte ihre zwei kleinen Mädchen nicht zurückgelassen, um in Russland Häuser aufzubauen, die andere niedergeschossen hatten. Meine Omi wäre nicht mit 18 nach Österreich gekommen und ich würde heute wohl Rumänisch und vielleicht sogar Ungarisch sprechen.
Vielleicht wäre ja wäre kein Kommunismus gekommen, keine Trennung vom Rest Europas. Mein Opa hätte sich nicht jedes Jahr erinnern müssen, wann sie ihr zu Hause verließen, ohne zurück zu können. „Alte Heimat“, nennt die Erlebnisgeneration Siebenbürgen. Für uns eher fremde Heimat, die wir als Urlauber kennenlernen müssen. So viel Geschichte teilen wir mit Luxemburg, Deutschland, der Österreichisch-Ungarischen Donaumonarchie, und dennoch mit Rumänien, dem Slawischen, dem „Ostblock“.
Was bleibt, ist die Verbundenheit einer Ethnie ohne Nation. Heute verstreut in alle Winde, obwohl wir Nachbarn hätten sein müssen.
Wenn, ja wenn, ja wenn nie der Krieg gekommen wär. In jedem Freundschaftsbuch in der Schule war dies „mein größter Wunsch“: KEIN KRIEG MEHR
Aber nicht nur, damit ich mit meinem Opa unseren Weinberg betreuen und Fohlen streicheln hätte können
oder in dieselbe Schule wie meine Oma gehen,
sondern ihrer Traumata wegen. Und heute?

© Hanna Roth 2024-07-12

Genres
Anthologien