Silvester 2020

Es waren nur noch ein paar Minuten, bis 2020 vorbei sein würde. Dieses Jahr war es im Haus etwas ruhiger und genügend Stühle waren frei. Anwesend waren nur Sarah, Thomas und ihr Sohn Kevin. Jedoch war die Stimmung in dieser ungewohnt, kleinen Runde mindestens genauso gut, wie 2019. Sarahs Eltern wollten nicht kommen, zwar waren die Maßnahmen extra für die letzten Tage gelockert worden, aber es war den alten Leuten einfach zu unangenehm stundenlang mit Maske im Zug zu sitzen. Die Schwester konnte ebenfalls nicht kommen, weil sie in London lebte und somit die Einreise, nach Deutschland, recht kompliziert war. Auf dem Stuhl am linken Tischende war vor einem Jahr noch Sarahs Schwiegervater gesessen. Vorhin hätte Sarah fast ein weiteres Gedeckt dorthin gestellt, doch dann war ihr eingefallen, dass der erwartete Gast nicht zu spät, sondern gar nicht kommen würde. Aber in den Herzen aller war Friedhelm trotzdem da. Außerdem glaubte Sarah ganz fest daran, dass der Geist des Verstorbenen heute da war. Die Letzte, die nicht hier sein konnte, war Hanna. Sie wohnte ja mit ihrer Freundin Kim in einer Wohnung. Weil Hanna mit Kim mal alleine Feiern wollte, war sie nicht ins Elternhaus zurückgekehrt. Dafür hatten sie und Kim vorhin per Skype angerufen. Sarah hatte gesehen, dass es den beiden dort unten gut ging. Außerdem spürte sie als Mutter, dass Hanna mit Kim wirklich glücklich war und sich viel selbstbewusster verhielt als Früher.

Es waren jetzt nur noch wenige Augenblicke von 2020 übrig und Sarah fragt sich, ob es wirklich das perfekte Jahr gewesen war. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass die Pandemie Sarahs Familie vor eine Herausforderung gestellt hatte. Aber das galt eigentlich für jeden Anderen auf der Welt auch. Natürlich hatte es innerhalb der Familie Spannungen und Krisen gegeben, dennoch behielt Sarah von diesem Jahr nur gute Erinnerungen. Klar waren der Streit zwischen ihr und Thomas oder Hannas Trennung von Tobias unschön gewesen, dennoch war auch viel Schönes geschehen wie der Filmabend oder der Familienausflug. Alle hatten sie in diesem Jahr neue Erfahrungen gesammelt und waren daran gewachsen. Am besten sah man es an Kevin, der brachte seit Jahren eher mittelmäßig Noten heim, doch seit dem letzten halben Jahr waren die Noten besser geworden. Wenn sie so darüber nachdachte, dann war die Pandemie sogar gut gewesen, denn Sarah schien es so, dass die Familie durch dieses Ereignis näher zusammengerückt war als all die Jahre zuvor.

Ja, für Sarah war es ein perfektes Jahr gewesen. Allerdings war es schade, dass ihr Schwiegervater dies nicht ganz miterleben konnte. Sarah kam auf einmal eine Erkenntnis. Eigentlich war jedes Jahr ein Perfektes, wenn man nicht einen vorausgeplanten Weg ging, sondern sich treiben ließ und eben die Zitronen auspresste. Mit dieser Erkenntnis zündet Sarah mit Kevin Feuerwerkskörper, um das vergangene Jahr zu verabschieden und das neue „perfekte“ Jahr zu begrüßen.