von Georg Zenz
Ich muss sagen die Hafenkneipe hat Stil! Umgeben von Matrosen, Tagedieben, Huren und franz. Fremdenlegionären stehen wir am Tresen und trinken Bier.
Ourest von der Sorte Tagediebe, klärt mich auf. Es sei gefährlich, hier mit Geld herum zu laufen. Er bietet sich als Bodyguard an. Ich müsste ihm nur sagen wie viel ich bei mir hätte. Für wie dumm hält der mich? Russisches Roulette würde ich mit Sicherheit eher überleben als hier die Offenlegung meiner Barschaft. Ich versuche mit Diplomatie aus der Situation zu kommen. Keinesfalls ein Streit mit ihm! Nie! Er ist 1,90 groß, hat Fäuste wie ein Vorschlaghammer und ist etwa 100 kg schwer. Reine Muskelmasse. Das sind hierzulande in die 100 besseren Argumente. Die Rolle als mein Bodyguard würde ihm jeder glauben. Nur ich nicht.
Jamie der Barkeeper hilft uns aus der Situation und trägt unser Essen in den Raum nebenan. Er weiß dass er uns den Arsch gerettet hat und wird dies mit Sicherheit zu berechnen wissen. Der Raum ist nicht wie sich Europäer ein Restaurant vorstellen.
Ein grob gezimmerter Tisch, drei Meter lang, darauf Speisereste des ganzen Tages – nein, des Monats – zwischen Zigarettenkippen und Schüsseln mit Dippsaucen. Dazu noch ein paar wackelige Stühle und fertig ist ein Restaurant in Abidjan. An der Wand ein gerahmtes Bild des Papstes und ein Poster eines Playmates. Letztere nicht so aufwändig bekleidet.
Wir nehmen neben Celine, Grace und Okuia Platz, die gerade Pause machen. Sie müssen sich nicht extra vorstellen, an ihrer Kleidung ist ihr Beruf leicht zu erkennen.
Jamie stellt die Teller vor uns. Die Chicken Wings haben eine grünliche Farbe. Wir schwanken zwischen Hunger und Ekel. Celine kaut auf ihren Pommes herum und Grace wirft schon hoffnungsvolle Blicke auf unsere Teller. Auch Okuia rückt näher. Doch unser Hunger siegt.
Ich schaufle eine Portion rote Sauce auf das Teller. So lässt sich der Geschmack übertünchen. In der Natur heißt rot „Achtung, Gefahr!“ Beispiele gibt es genug: Pfeilgiftfrösche, Korallenschlangen, Lippenstift…
Dass dies auch für Saucen gilt wusste ich nicht. Bis jetzt. Beim ersten Bissen aber weiß ich: Reinstes Chili, 120%! Mindestens! Schweiß! Tränen! Urlaute!
Ourest kommt durch die Tür. In meiner Situation kann auch ein Bodyguard nicht helfen. Nur Celine. Sie flösst mir Wasser ein und versucht nebenbei eine Geschäftsanbahnung. Sie sorgt sich rührend um mich, will mich ins nächste Jahr retten.
Jamie warnt: „Very spicy!“
Idiot!
Eine Stunde später, Jahreswechsel. Die Hölle bricht los. Die Mädchen hängen wie Kletten an uns. Autohupen sind auf Dauerbetrieb, Feuerwerkskörper detonieren grell, auf jedem m² mindestens fünf. Der Lärm wird zum Inferno. Die ganze Stadt ein Irrenhaus. Flaschen werden zerschlagen, Autos umgeworfen. Einige nutzen das Chaos, schlagen Auslagen ein und räumen diese in Sekunden aus. Niemand schert sich darum. Ich auch nicht.
Joe habe ich längst verloren. Oder er mich. Mit Celine am Arm flüchte ich in ein Neues Jahr.
© Georg Zenz 2020-03-23