Silvester, wie er früher einmal war…

Gerhard Maier

von Gerhard Maier

Story

Klock! Es war deutlich, trotz des Motorengeräusches. „Nur a Katz!“, meint der Fahrer. Mit der Nase an der Windschutzscheibe starrt er auf die Schneefahrbahn. Die Scheinwerfer leuchten die Schneewände links und rechts aus. Im Wiederschein erkennt man das Profil des Fahrers, ein grobschlächtiges Gesicht mit Hakennase.

Vor einem Gasthof bleibt er stehen: „Ich komm wieder!“ Er wankt hinkend auf die helle Tür zu, klein und untersetzt. Trotz des Wetters ist er nur mit einem weißen Arbeitsmantel bekleidet. Endlich können wir reden, bis jetzt sind wir beide still neben dem Fahrer gesessen. Hansjörg fragt: „Von wo kennst du den?“ „Devalli? Steht doch hinten am Lieferwagen. Ich fühle mich ja auch nicht wohl, aber was ist die Alternative? Es fahren kaum andere, die wir stoppen könnten. Rauschig sind sie ohnehin, die jetzt unterwegs sind. Willst du die 30 Kilometer mit Schi auf den Schultern durch die Silvesternacht stapfen? Im Schneetreiben ist das viel zu gefährlich, am Ende geht’s uns wie der Katz!“ Der Fahrer kommt wieder, es geht weiter.

Drei Tage zuvor hatte alles begonnen. Mit Hansjörgs Eltern ging es nach Obertauern, für einen halben Tag Schifahren hatte ich 60.- Schilling mit. Auf der Piste trafen wir Hans, dessen Mutter die Pension Mayr-Häusl führte, er überredete uns, über Nacht zu bleiben. Hansjörgs Eltern steckten uns Geld für den Bus zu und versprachen meine Eltern zu informieren. Der Abend war durchwachsen, wir streunten herum, es gab eine Flipperbude, wo wir ein paar Münzen verbrauchten. Im Mayr-Häusl verließen gerade die letzten Hausgäste den Aufenthaltsraum, dort würden wir in Feldbetten die Nacht verbringen.

Am Morgen schneite es heftig, Schneekristalle fetzten waagrecht durch die eisige Luft. Bei der Busstation sagte man uns, dass der Pass wegen Lawinengefahr gesperrt sei. Es war eine Ausnahmesituation für das Dorf, die Turnhalle als Notunterkunft blieb uns erspart, wir konnten ins Mayr-Häusl zurück. Zwei Tage sollten wir nun die Zeit totschlagen. Ohne Geld, ohne private Bleibe, nur die Schikleidung am Körper. Zwar wurden wir bei Hans verköstigt und wir durften wieder im Aufenthaltsraum schlafen, aber sonst standen wir nur im Weg. Dreimal täglich stapften wir durch den Schneesturm, wärmten uns in der Flipperbude, tranken Wasser in den Hotel-Toiletten.

Am Silvestertag ließ der Sturm nach, am Nachmittag wurde die Straße für Versorgungsfahrten geräumt, sonst blieb der Pass zu. Wir mussten aber dringend weg, ein Abend mit unseren Freunden war geplant. Wir bretterten mit den Schiern über die frisch geräumte Straße, bang der Blick auf die steilen Flanken wegen eventueller Lawinen. Als wir Untertauern erreichten, wurde es schon finster. Vor dem Hotel Post stand der Metzgerei-Lieferwagen, Devalli ließ uns griesgrämig mit fahren.

Endlich zu Hause hatten sich alle Freunde verlaufen, am Minigolfplatz steckte unsere Flasche Cinzano, leider leer, im Schnee. Im warmen Bett verschlief ich den Jahreswechsel.

© Gerhard Maier 2020-11-29

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