Silvester zweimal anders

Zwischen_den_Zeilen

von Zwischen_den_Zeilen

Story

„Freust du dich auf Silvester?“, wollte meine Tochter wissen. Wir saßen in der Schnellbahn, waren auf dem Weg ins Kleingartenhaus, wo wir den Jahreswechsel verbringen wollten. Nur wir vier, die engste Familie. „Ich versuche, mir nichts Besonderes zu erwarten. Dann kann man auch nicht enttäuscht werden.“

Das war am 31. Dezember 2019. Wir hatten die Einladung einer befreundeten Familie, wie in den Jahren davor gemeinsam zu feiern, ausgeschlagen. Eine leichte Verkühlung und das Gefühl, sich auseinandergelebt zu haben, was auch unter Freunden vorkommen kann, waren die Gründe gewesen. Nun wollten wir einmal etwas ganz anderes ausprobieren: in dem gemütlichen Häuschen am Stadtrand von Wien ein gutes Essen kochen, Gesellschaftsspiele spielen, „Dinner for One“ schauen und kurz vor Mitternacht hinausgehen, um von einem Aussichtspunkt aus die Feuerwerke zu bewundern.

Es wurde der schönste Silvester seit Langem, daher planten wir, schon bevor Corona in Österreich angekommen war, 2020 ein zweites Mal „anders“ zu feiern.

Was wir auch taten. Ob ein entspannter Silvester in einem so ungewöhnlichen Jahr gelingen könne, mitten im dritten Lock-down, fragte diesmal niemand von uns. Zumindest nicht laut.

Ein opulentes Abendessen war schon einmal ein guter Anfang. Das Spiel, das unter dem Christbaum gelegen war, mussten wir auch unbedingt ausprobieren. Bei der Auswahl des obligatorischen Films wollten wir heuer kreativ sein. Nach längerem Überlegen einigten wir uns auf „Wickie und die starken Männer“, den Spiel-, nicht den Trickfilm. Wir lachten über die schon vor Jahren gesehenen Szenen ein zweites Mal. Mit Herz und Verstand auch in aussichtslos erscheinenden Situationen eine Lösung zu finden wie Wickie, das hatte schon etwas für sich.

„Dinner for One“ holte uns trotzdem ein – in Form einer WhatsApp-Nachricht. Sinngemäß stand da: Zu Silvester zu zweit in einem Raum sitzen und sich mit Freunden besaufen, die gar nicht da sind? Dass man das tatsächlich einmal tun würde, damit hatte keiner gerechnet.

Wir wünschten unseren physisch abwesenden Freunden per Telefon ein gutes Neues Jahr, das Trinken ließen wir aus – bis auf einen gepflegten Schluck zu Mitternacht. Den genehmigten wir uns auf dem schon vom Vorjahr bekannten Aussichtspunkt mit herrlichem Blick über Wien. Genossen die verboten schönen Feuerwerke, es waren weniger als im Jahr davor, die andere Leute zündeten. Und freuten uns, dass liebe Freunde, die in der Nachbarschaft wohnten, auch an diesen nur „Ortskundigen“ bekannten Platz (wo der liegt, wird nicht verraten) gekommen waren. Wir prosteten einander – natürlich mit gebührendem Abstand – zu, bevor wir ins Haus zurückkehrten und den Tag mit einer deftigen Gulaschsuppe ausklingen ließen.

Ich lag noch eine Zeit lang wach und dachte nach. Was würde ich auf die Frage antworten, ob ich mich auf 2021 freue? „Ich erwarte mir nichts Besonderes, lasse es einfach auf mich zukommen.“ Das heißt, ich versuche es zumindest.

© Zwischen_den_Zeilen 2021-01-01

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