Sindbad und Kasimir

Silvia Peiker

von Silvia Peiker

Story

Wer bei Sindbad an die sagenhaften Abenteuer des mutigen Seefahrers aus der orientalischen Märchensammlung Tausendundeine Nacht denkt, wird vermutlich enttäuscht sein. Und der süße braune Hase namens Kasimir im gleichnamigen Bilderbuch hatte ebenfalls bis auf die Gattung der Säugetiere nur wenig mit unserem Kasimir zu tun. Alle Jahre wieder schneit uns die Weihnachtszeit ins Haus. Viele Wünsche wollen erfüllt werden und auf der Wunschliste der Familie stand in diesem Jahr an oberster Stelle ein Kätzchen. Aber da Katzen eher nicht im Winter werfen, beschloss ich gemeinsam mit dem besten aller Väter, uns nach einem neuen, vierbeinigen Familienmitglied im Wiener Tierschutzhaus in Vösendorf umzusehen.

Dort jedoch erwarteten uns viel zu viele herrenlose Katzen, die sehnsüchtig auf ein liebevolles Zuhause hofften. Ein Kätzchen fand sich jedoch in keinem der extra für Stubentiger reservierten Räume. Die Tierpflegerin, die uns begleitete, machte uns Unschlüssige auf zwei ältere Kater aufmerksam, die aufgrund ihres Alters wenig Aussicht auf einen guten Platz hatten. Ihre mageren Körper zeugten davon, dass den beiden die jüngeren Artgenossen gemäß der tierischen Rangordnung das meiste Futter wegfraßen. Schüchtern drückten sich der getigerte Sindbad und der grauweiße Kasimir in einer Ecke des mit Spielsachen und Schlafkörbchen ausgestatteten Zimmers herum. Auf Anhieb hatten die beiden armen Stubentiger, die nach einer Delogierung ihre Besitzer und ihr Heim verloren hatten, unsere Herzen erobert.

Eine Woche vor Heilig Abend zogen unsere neuen, betagten Katzen sehr zur Freude unseres Nachwuchses bei uns ein. Nun hatten wir alle Hände damit zu tun, den dreizehnjährigen Sindbad und seinen zwölfjährigen Kumpel Kasimir davon abzuhalten, aus der Klomuschel zu trinken oder an den ungenießbaren Zimmerpflanzen zu knabbern. Noch dazu flitzten die beiden Wohnungskatzen ständig zur Eingangstür, sobald diese geöffnet wurde.

Und es dauerte nicht lange, bis der graugestreifte Sindbad plötzlich verschwunden war. Er musste, als Freunde unsere Kinder in den Weihnachtsferien besuchten, klammheimlich aus dem Haus geschlüpft sein. Gründlich suchten wir unseren großen Garten und die nähere Nachbarschaft ab, doch vergebens. Da wir an einer verkehrsreichen Straße wohnten, befürchteten wir das Schlimmste. Hoffnungsvoll schrieben die Kinder Steckbriefe mit einer detaillierten Beschreibung des Ausreißers sowie unserer Telefonnummer und sie klebten diese an Laternenmasten und Baumstämme.

Und siehe da, bereits am nächsten Tag war unsere beherzte Suche von Erfolg gekrönt. Unser Sindbad war einer aufmerksamen Schülerin, die auf der anderen Straßenseite lebte, zugelaufen. Einen glücklichen Anruf später konnten wir den lieben Strawanzer endlich wieder in unsere Arme schließen. Vergnügt sangen wir: Lasst uns froh und munter sein und uns an unserem wiedergefundenen Kater erfreu’n.

Foto: Dank an cocoparisienne




© Silvia Peiker 2023-12-26

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Romane & Erzählungen
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Reflektierend
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