Singen verboten

Gudrun Salzer

von Gudrun Salzer

Story

Dienstagabend. Treffpunkt in der Volksschule. Oder im Pfarrsaal, je nachdem, wo für uns Platz ist.

Für uns? Wir haben keinen Platz mehr. 30 Männer und Frauen. Wir alle haben zwei Dinge gemeinsam. Der Hang zum Humor und zum Lachen. Oh, das waren ja schon zwei. Dann muss ich mich auf drei korrigieren- das gemeinsame Singen. Und weils so schön ist, noch ein viertes drauf. Wir sind eine eigeschworene Gemeinschaft, die sich außerhalb des Probelokals unterstützt, gemeinsam feiert und gerade in schwierigen Lebenssituationen Rückhalt bietet.

Egal wie mühsam ein Arbeitstag war. Oder wie gut man schon auf der Couch liegt und sich doch noch aufraffen muss, um zur Probe zu fahren. Beim Singen verschwinden die Themen, die einen tagsüber oder auch nachts beschäftigen. Der musikalische Balsam rinnt über die Seele.

Ein neues Stück wird erarbeitet. Zunächst die einzelnen Stimmlagen. Da und dort holpert es, Töne werden nicht getroffen und Pausen nicht berücksichtigt. Dann der erste gemeinsame Durchgang und die Stimmen fügen sich zu einem Ganzen. Gleichzeitig öffnet sich ein Klanggemälde in unterschiedlichen Farben und Formen. Wir sehen von unseren Notenblättern auf. Und lesen gegenseitig in unseren Gesichtern, dass es „unser“ Lied wird.

Bei anderen Stücken kämpfen wir uns mit schiefen Tönen durch die Partitur, bis es im Hals kratzt. Es ist harte Arbeit, bis sich eine späte Liebe entwickelt.

Egal ob „unser“ Lied oder die späte Liebe, nichts davon mehr ist uns erlaubt. Singen ist gefährlich. Sagt die Regierung.

Singen macht krank. Sagt die Regierung.

Man muss Abstand halten. Sagt die Regierung.

Man muss Masken tragen, um Untertöne wegzufiltern.

Zum Singen muss man tief ein- und ausatmen. Das ist ab sofort verboten. Sagt die Regierung.

Im Hintergrund läuft gerade der Mitschnitt eines längst vergangenen Chorkonzertes. „I am from Austria“ schallt es aus dem Laptop.

„I kenn die Leit, i kenn die Rattn, die Dummheit, die zum Himmel schreit“… Ich erkenne die Leute nicht wieder. Die Ratten haben sich als Babyelefanten getarnt. Und die Dummheit… mir fehlen die Worte.

„I bin dei Opfe, du mei Stomm“… Was wir wohl ernten, wenn dem Baum gerade die Wurzeln gezogen werden?

„So wia dei Wossa talwärts rinnt, unwiderstehlich und so hell, fost wia die Tränen von an Kind“…selbst den Schülern nimmt man die Musik, mir ist zum Weinen.

„I siach di jetzt nur mehr von da Weidn, wer konn verstehn, wie weh mir des alles tuat?“

© Gudrun Salzer 2020-05-06