Sinnlichkeit

„Was hetzt du so, Widder?“ Der Stier schaut hoch, wiegt sich im Licht und verfolgt kaum das Springen des Widders von Grashalm zu Grashalm. Ein einzelner Baum wirft Schatten über sein Fell, weit genug entfernt vom Stier.

„Ich hetz’? Ich will kämpfen! Kämpf’ gefälligst!“

Der Stier schüttelt langsam den Kopf. „Genieße das Wetter und genieße den Tag, mein Guter. Gönne mir mein Sonnenbad.“

„Sonn’bad? Sonn’bad … Du schläfst am Tag! Weg mit Faulenz’rei!“

„Faulenzerei? Sage mir: Wie oft hast du dir die Beine gebrochen? Du rennst viel zu schnell und überlegst nicht, wohin oder was die Konsequenzen sein könnten.“

„Du sprichst – du handelst nie! Angst vorm Kampf hast du!“ Er zeigt das gebogene Paar Hörner ungeachtet der halbgeschlossenen Augen, die sich nicht weniger um ihn kümmern konnten. „Ich kämpfe nicht mit Freunden. Wie wäre es, wenn du dich zu mir legen würdest? Die Sonne ist warm und die Blumen – sie duften – die Luft ist so frisch! Verrate mir, Widder: Wann hast du das letzte Mal durchgeatmet?“

„Ich atme immer„, schnaubt er, „Jetzt kämpfe! Kämpfe!“

„Warum?“ Der Stier gähnt und dehnt seine müden Muskeln, als er seine Schlafposition zurechtrückt. „Was nützt es mir?“

„Ich werd’s dem Löwen heimzahl’n!“

„Dann kämpfe doch gegen ihn … Nein, warte – spare dir das und lege dich zu mir in die Sonne.“

„Besieg’ ich dich, besieg’ ich ihn! Die Wette steht!“

„Du brauchst mehr von der Sonne, mein Guter. Lege dich hin, dann sage ich dem Löwen, du hättest gewonnen.“

„Das zählt nicht!“

„Dann lege dich hin und wir kämpfen danach.“ Der Widder läuft um ihn herum; der Stier rührt sich nicht. Da stampft er mit den Zehen auf, sagt „Fein! Abgemacht!“ und legt sich ins Gras. Es dauert nicht lange, bis er schläft.