Die Stimmung verĂ€ndert sich. Immer dachte ich, ich sei die Einzige, die dieses Kribbeln, das Sinnliche spĂŒrt. Sich selbst sinnlich fĂŒhlt und dem Drang nicht widerstehen kann, dem Rhythmus dementsprechend mit meinem Körper zu folgen. Jetzt bin ich unter Gleichgesinnten. Er stimmt diesen Song an und ich bemerke, wie sich die Stimmung im Saal verĂ€ndert. Alles wird irgendwie intimer, die Bewegungen der Frauen um mich herum sind nicht stark, aber dieses leichte Wippen beginnt immer lasziver auszusehen. Ich meine, das Musikvideo versprĂŒht Sex, aber trotzdem dachte ich immer, ich sei die Einzige, die von dieser Musik Lust verspĂŒrt. Die KlĂ€nge sind ruhig und laut zugleich. Schnell und dennoch langsam.
Meine HĂ€nde machen sich selbststĂ€ndig. Sie tragen mein GefĂŒhl von sinnlich sein nach AuĂen. Sie folgen meiner Figur, ĂŒber die Taille, ĂŒber meine HĂŒften, wĂ€hrend sich diese sachte im Takt bewegen.
Hitze breitet sich im Raum aus. Weit entfernt sehe ich die anderen, denen es gleich geht. Weit entfernt, bevor ich meine Augen schlieĂe und mich selbst fĂŒhle. Meine Weiblichkeit, Sinnlichkeit, Lust. Ganz plötzlich fĂŒhle ich mich wohl in meinem Körper. FĂŒhle mich sexy und stark. Ein so seltenes Empfinden. In der Luft spĂŒre ich die Energie. Diese Energie der anderen Frauen, denen es gleich geht. Wir sind so unterschiedlich, wir sind klein, wir sind groĂ, haben krĂ€ftige Kurven oder auch kleine. Es macht keinen Unterschied, denn wir sind alle schön. Wir sind verspielt, unerreichbar aber dennoch nahbar.
Der Text sagt etwas komplett anderes, als es der Tonfall des SĂ€ngers tut, als es der Rhythmus der Gitarre, des Schlagzeuges, des Basses tut. Doch die gesungenen Worte sind irrelevant. Ich versinke im Schrei des SĂ€ngers. Er schreit, fĂŒr uns, fĂŒr mich, schreit den Schmerz des Alltages hinaus in den Saal und es tut gut. So gut alles loszulassen. Dieses Loslassen, Schmerz, wirre Gedanken, der Kopf wird frei. Ich muss der Musik noch mehr folgen, meine Bewegungen werden intensiver, ich werde mutiger. Denke nicht darĂŒber nach, was andere dazu sagen könnten, lasse mich fallen und gebe mich hin. Mit einem wehmĂŒtigen langgezogenen Ton lĂ€sst er seine Stimme brechen und die Lichter der BĂŒhne verĂ€ndern sich. Die Musik wird abgelöst von Jubelschreien und Applaus. Zufrieden bedankt er sich, freut sich ĂŒber unsere Ausgelassenheit und spricht mit uns, als hĂ€tte er alte Freunde auf der StraĂe getroffen, bevor er das nĂ€chste Lied einstimmt und neue GefĂŒhle weckt.
Zufrieden, erschöpft und ĂŒberwĂ€ltigt von den EindrĂŒcken des Abends falle ich ins Bett. Die Welt ist in Ordnung fĂŒr mich. FĂŒr diesen Moment. Alles Schlechte ist weg, meine Gedanken richten sich auf das Gute, das schöne, das dieses Leben mir zu bieten hat. Mein quasi nicht vorhandenes Selbstbewusstsein hat sich verwandelt, in etwas Starkes, sehr prĂ€sentes. Ich bin eine Frau. Und ich bin schön und wertvoll und stark. Unaufhaltsam. Alles, was ich erreichen will, erscheint in diesem Moment so spielend leicht. Sanft und mit einem LĂ€cheln im Gesicht falle ich in einen erholsamen Schlaf.
© Nicole Luttenberger 2024-09-08