Regenbogen

maryallenpoe

von maryallenpoe

Story

Ich will den Kauf des billigsten Weins gleich nach dem ersten Schluck bereuen. Beim zweiten oder vielleicht doch erst fünfzehnten Schluck, eine Gewohnheit entwickeln und es dann plötzlich genießen. Nicht den Geschmack, sondern das Gefühl. Kaufe ihn heut nur noch, um an die Momente mit dir zu denken, wieder dieselbe Leichtigkeit zu fühlen. Doch die Erinnerung verblasst, der schale Beigeschmack drängt zunehmend an die Oberfläche und verschlingt alles andere.

Ich will singend und leicht betrunken durch die Straßen schlendern, ziellos, einfach nur gehen und reden. Gar nicht so sehr über vergangene Tage oder die noch kommen, sondern über den Moment. Über den Sinn des Seins zu philosophieren, viele brauchbare und manch‘ eigenartige Theorien miteinander zu tauschen. Spät abends am noch warmen Asphalt sitzend, dabei die frische Brise auf der Haut zu spüren. Die Stunden streichen an uns vorbei. Verloren im Sternenhimmel und den Theorien.

Du lehnst an meiner Schulter, summst zum Lied aus meinem alten Klapphandy mit, und lachst so herzhaft, als ich schief, aber laut mitsinge. Diese Nächte, die ewig währen sollten, waren wie das stille Auge eines Tornados. Untertags fliegen dir sämtliche Dinge um die Ohren. Klitzekleine, die dich in Hochmut wiegen lassen, allem gewachsen zu sein. Gefolgt von fliegenden Kühen, die dich aus der Bahn werfen, allein wegen der Überraschung. Plötzlich scheinst du dem Leben nicht mal annähernd gewachsen zu sein.

Diese Gespräche zerrten dich aus der Hektik, gaben Raum zum Atmen. Es gab keinen Grund abzuwägen, was das Gegenüber hören möchte, die Worte flossen heraus, ohne groß nachzudenken. Die Ehrlichkeit dieser Nächte ist das Sinnbild unserer Freundschaft, oft wünsche ich mir diese Offenheit zurück, doch finde es nicht. Anstatt in der Welle zu schwimmen, werde ich mitgerissen und zurück ans Ufer geschwemmt. Keinen Mut zu springen, leise sitz‘ ich am Ufer und sehe den Wellen zu. Sitze da und denk an dich, die Gespräche, das Sein.

Solche Nächte wurden immer seltener, umso älter wir wurden. Das Erwachsensein laugte den Körper aus. Lebten uns auseinander, zuerst nur geistig und nach dem Studium auch geografisch. Hier im Dorf zu bleiben war für uns beide nie die Option, als Kind war die Hauptstadt unser Ziel und nun schlagen unser beider Herzen so weit entfernt voneinander. Hoffe einständig wir sind noch im Takt geblieben, über unsere Distanz hinaus gewachsen. Es gab und wird ihn wohl auch nie geben, keinen Menschen der näher zu dem meinem Herz fühlt.

Sitze mit unserem liebsten ranzigen Wein im Blut vor deiner neuen Tür, kämpfe mit meinem Mut und trinke, Schluck um Schluck. Die Flasche leer, ich bin voll und übergebe mich in deinem Garten. Die Tür öffnet sich, du trittst hervor und blickst auf mein verbrauchtes Ich. Du fängst an zu lachen, kannst gar nicht mehr damit aufhören, leicht verwundert steigt mein Körper mit ein. Du umarmst mich, ich rieche dein Duft – der Regenbogen kehrt in mein Leben zurück…

© maryallenpoe 2020-06-08

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Hoffnungsvoll