von Jökull
Auf dem Weg nach Skibbereen halten wir an einem kleinen verfallenen Hafen. Vom ehemaligen Hafenmeisterhaus stehen noch die Reste der Außenmauer. Ich lasse die Szenerie auf mich wirken und fange an zu träumen. Wie wäre es wohl, wenn dem Hafen und dem Haus neues Leben eingehaucht würden? Früher dürfte dieser Ort mehr als einem Boot Schutz geboten haben. Platz für ein eigenes Boot wäre hier allemal. Was gäbe es schöneres, als dort der eigene Hafenmeister zu sein!
Ich werde aus dem Traum geweckt und wir fahren weiter. Das Ortsschild von Skibbereen taucht auf. Der Wohlklang des Namens ist Anlass genug, die heutige Reise hier zu beenden. Der Ortsname als Ohrwurm wird mich Jahrzehnte später an diesen Tag erinnern. Skibbereen.
Wir finden ein Bed & Breakfast in einem schlichten Reihenhaus. Die Hauptstraße wirkt überraschend bunt. An den Fenstern finden sich Andeutungen auf das florale Einrichtungsthema im Inneren. Tapeten mit Blumenmustern im Treppenhaus begleiten uns ins Gästezimmer. Hier setzt sich die bunte Pflanzenwelt in der Bettwäsche und anderen Details fort.
Skibbereen ist immer noch geprägt von der großen Hungersnot von 1845 bis 1849. Damals wie heute war das Hauptnahrungsmittel die Kartoffel. Infolge Monokultur verbreitete sich die Kartoffelfäule über mehrere Jahre in Folge. Hinzu kamen ungünstige klimatische Einflüsse infolge eines Vulkanausbruchs auf der indonesischen Insel Java. Damals sorgten bis nach Europa reichende Staub- und Aschewolken für dauerhaften Schatten. Schon Jahrzehnte vor 1845 führte dies zu Missernten. In ganz Irland starb eine Million Menschen am Hunger. Allein in Skibbereen sollen es 10.000 Tote gewesen sein. Zwei der insgesamt sechs Millionen Auswanderer verließen das Land während des großen Hungers. Heute leben hier nur 2.500 Menschen.
Im Jahre 1850 siedelten sich die Ordensschwestern des Erbarmens in Skibbereen an. Die Sisters of Mercy widmeten sich nach der Hungersnot der Betreuung von Kranken und armen Kindern. Sie tun es bis in die heutige Zeit.
Jahrzehnte später höre ich den Namen Skibbereen bei einem Konzert der Dubliners wieder. In der Ballade „Dear Old Skibbereen“ singen sie vom Gespräch eines Vaters mit dem Sohn. Der Sohn fragt seinen Vater, warum er Skibbereen verlassen hat. Der erzählt von den Missernten. Es seien viele Menschen gestorben, aber auch Schafe und Rinder. Dessen ungeachtet trieben die Sheriffs weiter Steuern ein. So wurde er schließlich zum Freiheitskämpfer. Das Lied soll erstmals in den Vereinigten Staaten aufgetaucht sein. Anfang des 20. Jahrhunderts gelangte es nach Irland zurück. Seitdem gehört die Ballade zum Repertoire fast aller irischen Sänger. Ein bekannter Name darunter ist Sinead O‘Connor.
Skibbereen bedeutet übrigens „kleiner Hafen“. Damit wäre ich wieder am Anfang der Geschichte.
© Jökull 2021-03-04