von Vanessa Schmitz
Hier riechts ja gar nicht so schlimm, wie ich immer dachte. Zwei Wochen war ich weg, jetzt komme ich nach Hause und merke, es stinkt nicht! Kein Modergeruch, keine Luft, die laut sagt “Hier leben ungeduschte Höhlenmenschen” und glücklicherweise auch kein Gasgeruch, der uns langsam und unbemerkt dahinrafft.
Wir haben die Haustüre noch nicht einmal hinter uns geschlossen, schon habe ich alle Details meines Zuhauses geprüft und gegen gerechnet. Wie schnell das doch geht.
Diesmal war das Endergebnis gut, wie schnell komme ich aber zu einem negativen Ergebnis.
Sagen wir, mir kommt auf der Straße ein unbekannter Mann entgegen. Er hat sich ein paar Tage hintereinander nicht rasiert, trägt eine Jogginghose und an seinem Schlüssel hängt ein viel zu langes Band dran. Kein allzu ungewöhnliches Bild. Von solchen Männer rennen hundert tausende durch Deutschland. Sicherlich mal mehr und mal weniger fest im Leben stehend, vielleicht mit Kindern und Ehefrau, allesamt glücklich und gesund? Wer weiss. Ich könnte mich für die nette Variante, die heile-Welt-Variante entscheiden und den Mann in meinem Kopf und mit meinem schnellen Urteil einfach zu Frieden lassen, aber viel lieber denke ich mir aus, welche Katastrophen sich in seinem Leben wohl türmen würden. Diabetes, bald verliert er die Füße – die Bank lacht über seinen unterirdischen Score – seine Frau hält ihn für pornosüchtig – seine Kinder sind hyperaktive Plagegeister mit Löcher in den Zähnen. Verdammt, warum macht es nur mehr Spaß, sich Böses auszudenken als Gutes. Warum fällt mir das so leicht? Bin ich ein gehässiger, kaltherziger Mensch mit Minderwertigkeitsgefühlen, die er auszumerzen versucht, in dem er mit anderen Menschen den Platz tauscht. Die sind unten, deswegen bin ich oben? Aber warte mal: Jetzt zeichne ich ja selbst ein rabenschwarzes Bild von mir und meiner Person! Warum denke ich eher ich bin ein Arschloch, als ein Mensch, der Probleme sucht und findet um sie zu lösen. Ich zwinkere mich innerlich zu.
Uff….ich schüttle den Kopf, hänge den Schlüssel an den Nagel, ziehe meine Schuhe aus und verliere den Geruch, den ich gerade noch gerochen hatte, als ich nach zwei Wochen wieder nach Hause gekommen war. So schnell geht das. So schnell.
© Vanessa Schmitz 2023-01-09