So spring doch endlich 
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Franz Brunner

von Franz Brunner

Story

Was war ich fĂŒr ein ehrgeiziges, Kind, in der Schule und beim Sport sowieso. Stundenlang war ich damit beschĂ€ftigt, den Ball gegen die Wand zu werfen und ihn wieder zu fangen. Hundert Wiederholungen hatte ich mir vorgenommen und wenn’s dann bei 98 oder gar 99 danebenging, dann begann ich nach kurzer EnttĂ€uschung, begleitet von kindlich zornigem Schnauben, eben wieder von vorne. UnermĂŒdlich. Und heute?

Heute hĂ€lt sich mein Ehrgeiz in Grenzen, ich muss, ich will niemandem mehr etwas beweisen. Ich habe mir selbst bewiesen, dass ich mein Leben meistern kann. TĂ€glich gut fĂŒr mich, fĂŒr uns zu sorgen und darĂŒber hinaus unser Umfeld nicht zu vergessen, das betrachte ich als Erfolg. Ja, ich bin zufrieden, sehr sogar. Meistens, denn da ist noch was. Da ist noch was, was ich nicht oft genug versucht habe, da habe ich zu frĂŒh aufgegeben. Nicht erst bei 100 Wiederholungen, nein, bereits sehr viel frĂŒher. Die Versuche sind leicht an einer Hand abzuzĂ€hlen. Um den Schatten geht’s.

Mit 80 springt Mutter nicht mehr, schon gar nicht ĂŒber ihren eigenen Schatten. Das macht auch der Sohn mit 60 nicht, vielleicht in der nĂŒchternen Einsicht, dass dies ein unsinniges Vorhaben ist. Solche, die das schaffen, gibt’s nur in der Fantasie, im Film oder in Cartoons. Kaum jemand, der ihn nicht kennt, den Mann, der schneller zieht als sein Schatten. Lucky Luke, der schafft das schier Unmögliche. Wie viel schneller muss man erst sein, wenn man ganzheitlich ĂŒber seinen Schatten springt, die gesamte Körpermasse ĂŒber alle Gesetze der Physik hinweg beschleunigt.

Alles, was wir bisher ĂŒber Optik, Masse und Gravitation lernten und lehrten, gilt nicht mehr. Es braucht nicht besonders viel an Bildung und Intelligenz, um einzusehen: Das geht nicht, das wird nichts. Über den eigenen Schatten zu springen, das kann man sich abschminken. Aber haben wir das nicht ebenso vom Fliegen gedacht, vom Flug zum Mond, zum Mars und zur Venus ganz zu schweigen? Warum soll das beim Schatten anders sein?

Ist man Realist und vertraut der Physik, so geht das nicht, ganz sicher nicht. Ist man Christ und glaubt auch daran, dass dereinst jemand gegen den Himmel gefahren ist, so kalkuliert man ein Restrisiko ein, dass das doch gehen könnte. Und ist man weltfremd verklÀrt, so ist man sicher, dass das irgendwie gehen wird. Man muss nur fest genug dran glauben. Dann heilt man Krebs sogar durch TÀnze ums Feuer und disharmonische GesÀnge in eigenartigen Menschengruppen.

Ich fĂŒr mich habe entschieden: Ich werde springen, ich werde es nicht bei den wenigen Versuchen belassen. Wie war das doch gleich mit Edison, als er die GlĂŒhlampe erfunden hat? Erst beim 3001. Versuch hat’s geklappt. Und er klagte nicht, sondern stellte lediglich fest, dass er viel gelernt hĂ€tte, nĂ€mlich 3000-mal, wie es nicht funktioniert.

Ich werde springen und das klĂ€rende GesprĂ€ch suchen. Ob ich dann nochmals springe, weiß ich nicht, vielleicht gelingt’s ja gleich und die Sache ist erledigt. Jetzt zĂ€hlt erstmal der nĂ€chste Versuch.

© Franz Brunner 2021-07-19

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