„Nur noch zwei Jahre und ich habe es geschafft“, dachte ich, während ich mir unbeholfen meinen frisch aufgebrühten Kaffee in meinen neuen To-Go Becher kippte. Es war ein Montag, sieben Uhr in der Früh und ich noch völlig erschöpft vom Wochenende. Da bald wieder Klausuren anstanden, habe ich das ganze Wochenende mit Lernen verbracht und nur wenig Zeit mit meinem Freund Ben verbringen können. Nun stehe ich hier wieder, bereits fertig gestylt und abfahrbereit für die Arbeit. Doch ohne Kaffee geht morgens nichts bei mir. Das liegt in meiner Familie, denn meine Mutter, meine Schwester und ich funktionieren alle nur mit unserer täglichen Dosis frischem heißen Kaffee.
Um halb neun erwartete mich bereits mein erstes Meeting. Ich arbeitete neben meinem BWL-Studium in einem Großunternehmen und sammelte so nicht nur Berufserfahrung, sondern konnte dort auch meine Bachelorarbeit schreiben. Es war viel Arbeit neben dem Studium, aber es wird sich sicherlich eines Tages lohnen. Aber über diese Meetingzeiten würde ich gerne nochmal reden. Welcher Irre denkt sich das denn bitte aus? Ein Meeting direkt montags morgens um halb neun. Derjenige braucht dringend mal Spaß. Meinen Freund hat es da besser getroffen, der schläft noch, wie immer um diese Uhrzeit, da er erst um neun Uhr das Haus verlassen muss. Seine Chefin ist da etwas entspannter unterwegs als mein Abteilungsleiter. Ich schleiche mich ins Schlafzimmer unserer gemeinsamen Wohnung, stehle mir noch einen Kuss von ihm und verlasse dann genauso leise unsere Wohnung. Vor mir lag ein langer Tag, für den ich alles andere als bereit war.
Auf der Arbeit angekommen, begrüßte ich als erstes meine Kollegin Anne, die mit mir ein Büro teilte. Sie war bereits Absolventin und nahm mich ein bisschen an die Hand auf der Arbeit. Da ich mich jedoch sehr schnell gut im Unternehmen eingefunden hatte, war sie mehr meine Mentorin und gute Freundin. „Guten Morgen, Sonnenschein“, rief sie mir zu, als ich die Glastür von unserem Büro öffnete. Sie saß bereits seit viertel nach sieben an ihrem peinlich ordentlichen Schreibtisch und beantwortete E-Mails, die übers Wochenende von Kollegen aus dem Ausland eingetroffen waren. „Hey Anne, du siehst ja motiviert aus. Hattest du ein schönes Wochenende?“, gab ich ihr zurück. „Allerdings“, sagte sie mit einem breiten Grinsen. „Ich hatte ein äußerst erfolgreiches Date am Samstag und bin daher bestens gelaunt heute.“ Anne war schon seitdem ich sie vor einem Jahr kennengelernt hatte Single. Ihre letzte Beziehung lag bereits drei Jahre zurück und verlief die meiste Zeit über leider nicht besonders gut. Eigentlich gar nicht gut. Ihr Exfreund entpuppte sich als Narzisst und machte ihr das Leben nur noch zur Hölle. Sie brauchte lange, bis sie sich davon erholt hatte. Insgeheim glaubte ich, dass sie nie richtig darüber wegkommen wird. Ich glaubte sogar, dass es sie manchmal triggert, wie gut sich meine Beziehung zu meinem Freund Ben entwickelte in den letzten Jahren. Aber ich versuchte den Gedanken stets gekonnt zur Seite zu schieben. „Und, bereits fürs Meeting gleich?“, rief sie mir rüber, während ich meinen Laptop auspackte. „Ich habe gehört, dass sich heute ein neuer Praktikant vorstellen wird.“
© Sophia Lella-Brockmann 2024-08-08