von Judith Steinbach
Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich solche Gefühle. Noch nie habe ich Wochen so nachgetrauert wie in diesem Sommer. Und noch nie hatte ich mich unter Menschen so wohlgefühlt. Ich die eigentlich menschenscheuste Person, die es nur geben konnte, trauerte um eine Woche inmitten 60 Jugendlicher.
Ich war, seit ich denken konnte, immer vor Menschenmassen geflohen, bin lieber alleine irgendwo gesessen und habe gelesen. Ich hatte mich alleine bis jetzt immer wohler gefühlt. Doch diese Ferien waren anders. Ich wollte wieder unter den anderen sein. Mit ihnen lachen, weinen und lästern, wollte ihre Meinungen hören. Sie waren alle zwischen 15 und 19 gewesen. Und obwohl ich erst 13 bin, hatte ich das Gefühl dazuzugehören. Ich hätte sie auch als meine Freunde bezeichnet. Die Abende in denen wir über die Jungs geredet hatten, und die Mahlzeiten, bei denen wir mit den Jungs geredet hatten. Hätte mir jemand vor den Ferien erklärt, das ich in den Ferien, ganz normal mit Burschen reden kann, so wie mit Mädchen, den hätte ich ausgelacht.
Ich wurde mit den meisten Menschen einfach nicht warm. Ich fand ihre Witze nicht lustig und verstand nicht, wieso sie unbedingt über gewisse Themen sprechen wollten und über andere nicht. Doch dort hatten sie meine Meinungen geteilt. Hatten sich nicht über mich lustig gemacht, es war einfach komplett anders gewesen als in der schule.
Doch jetzt war wieder schule, meine Meinungen, blieben wieder alleine, und sie machten sich wieder über mich lustig.
Ich vermisste sie alle. Auch die Jungs. Es waren jetzt einfach nicht mehr „Jugendliche“, sondern „die Jugendlichen“! Ich weiß, dass ich für sie nur halb dazu gehöre, doch das ist wenigstens ein Anfang. Und irgendwann werde ich ganz dazu gehören.
Das einzige, was ich tun kann, ist, mich auf die nächsten Ferien zu freuen und in dr schule nicht aufgeben. Ich will diese Idioten aus der klasse ignorieren, mir meine eigene Meinung bilden und das tun, was ich cool finde. Wenn ich will, werde ich mir die Haare färben, egal ob sie mich dann für eine Tussi halten. „Die Jugendlichen“ taten das nicht und damit ist es egal, was die anderen sagen.
Mein perfekter Plan, um bis nächsten Sommer zu überleben: Ohren steif halten, immer lächeln und mir denken: Was die Klasse denkt, ist mir egal! Einfach immer lächeln! Für die, die mir wichtig sind, bin ich keine Tussi und das ist das Wichtigste!
© Judith Steinbach 2023-12-14