Sommersprossen vom Zahnarzt

Maria Büchler

von Maria Büchler

Story

Zahnarztbesuche zählen nicht unbedingt zu meinen Hobbies. Obwohl ich nicht viel zu befürchten habe. Mit meinen Beisserchen kann ich eigentlich ganz zufrieden sein. Die bereiten mir auch ohne allzu eifrige Pflege keine grossen Probleme.

Bis auf die Weisheitszähne. Die wurden plötzlich lästig und mussten entfernt werden. Ohne mir viel dabei zu denken, holte ich mir einen Termin und setzte mich pünktlich und zuversichtlich auf den Behandlungsstuhl des Zahnarztes.

Die Spritze tat rasch ihre Wirkung, mein Mund wurde taub. Relativ entspannt harrte ich der Extraktion, denn es waren ja keine Schmerzen zu erwarten. Die Assistentin legte mir ein Lätzchen um und die Gerätschaften zurecht, der Zahnarzt begann sein Werk.

Es ruckelte ein wenig, Metall klang leise an meine Zähne. Nun musste wohl eine Zange am Werk sein, denn ein gewisser Zug war zu spüren. Nein, nichts tat weh. Die Spritze hielt, was sie versprochen hatte. Ab und zu hörte ich gemurmelte Anweisungen.

Es ruckelte erneut. Es zog. Offenbar immer noch ohne jeden Erfolg. Der Arzt begann lauter zu sprechen:

«Der will nicht heraus. Tja, da werden wir wohl das Stemmeisen holen müssen.»

Na, das klang aber verheissungsvoll! Nun gut, wenn es sein musste… Der Mund war immerhin weiträumig gefühllos.

Mit einem metallenen Gerät zertrümmerte der Arzt den betreffenden Zahn. Die Assistentin saugte im Mund einen Teil der Flüssigkeiten ab, den anderen fühlte ich auf meinem Gesicht landen. So viel spürte ich denn doch. Aber Hauptsache, es ging vorwärts.

Der Zahn schien sich jedoch weiterhin zu widersetzen, denn der Dentist kommentierte: «Willst du wohl?» Und zu mir: «Da brauchen wir wohl stärkeres Geschütz. Haben Sie es eilig?»

«Rgchchch!» brachte ich heraus.

Die MTA legte frische Instrumente zurecht, und ein neuer Versuch wurde gestartet. Plötzlich entfuhr es ihm:

«Um Gotteswillen! – Sch…! Abgebrochen! Wie komm ich denn jetzt an die Wurzel heran?»

Ich erschrak. Musste jetzt ein Teil im Zahnfleisch bleiben? Da hörte ich schon wieder:

«Hätte ich nur nicht angefangen! So eine Sch…! – Ich gebe Ihnen besser eine weitere Spritze. Nur vorsichtshalber. Nicht dass Sie mir davonlaufen.»

Mir brach der kalte Schweiss aus. Was für Schwierigkeiten machte mein Zahn denn jetzt? Vor lauter Mundaufsperren bekam ich allmählich einen Krampf im Kiefer. Trotz des Absauggerätes überkam mich der Drang zum Schlucken.

Und als ich hörte «Jetzt brauche ich einen Schnaps, aber einen doppelten», war mir wirklich zum Davonlaufen. Ich versuchte, an etwas Angenehmes zu denken, damit ich stoisch ausharren konnte.

Nach insgesamt 90 Minuten durfte ich vom Stuhl klettern. Meine Kleider waren schweissdurchtränkt, die Knie zitterten.

Auf dem Heimweg sahen mich die entgegenkommenden Menschen seltsam an. War ich denn so blass geworden? Im Spiegel des Aufzugs sah ich es dann: Mein Gesicht war über und über mit Blut bespritzt. Es sah aus wie Sommersprossen.

© Maria Büchler 2020-07-11