Sonnenstunden in der Nacht

dieschreiberei

von dieschreiberei

Story

Die Sonne küsst ihn ganz zart. Den Horizont vor mir. Es fühlt sich an, als würde ich sie erreichen können. Als müsste ich nur den Arm ausstrecken. Die Finger öffnen. Sie ist so nah und doch so fern. Verträumt beobachte ich, wie sie mehr und mehr verschwindet. Mehr und mehr an Stärke verliert. Die Welt um mich herum wird dunkel, doch innerlich fühle ich mich lichtüberflutet. So als würde die Sonne in mein Herz schwinden.

Hinter mir klappern Bierflaschen aneinander. Es wird ein Trost ausgesprochen. Auf das Leben. Auf die Liebe. Auf den heutigen Tag. Ich habe mich ein StĂĽck von der Gruppe entfernt. Wollte mit diesem Moment alleine sein. Ihn fĂĽr mich haben. Je dunkler die Nacht wird, desto heller erstrahlt die Stadt. Ăśberall blitzen Lichter auf. In den Wohnungen sind die Leute noch nicht bereit, dem Tag Lebewohl zu sagen. Holen sich das kĂĽnstliche Licht in ihr Heim.

Das Wasser plätschert an meine Füße. Es ist noch ziemlich kalt. Rasche rolle ich meine Zehen ein. Bald wird es Zeit, sie wieder in die Turnschuhe zu packen. Aber noch nicht jetzt.

„Bist du dann wieder bereit, zu uns zu kommen?“, gesellt sich eine Freundin zu mir. „Noch einen kurzen Augenblick, es ist einfach zu schön hier“, murmle ich in Gedanken versunken. Sie legt ihren Arm um meine Schulter. Jetzt ist aus einer Genießerin eine zweite geworden. Äußerlich sind wir verstummt, aber ich weiß, dass die Worte in unseren Innerem einen Tanz vollführen. Ich spüre sie förmlich in mir herumwuseln. Noch wollen sie nicht hervorkommen. Immer nur wieder für kurze Zeit aufblitzen.

Gemeinsam stehen wir auf und gesellen uns zu den anderen. Wieder klirren Bierflaschen aneinander. Eine andere Freundin betrachtet mich aufmerksam. Dann sagt sie: „Du strahlst so. Als hättest du die untergegangene Sonne in deinem Herzen“. „Es fühlt sich auch so an“, grinse ich und nehme einen großen Schluck. Wir albern herum, erfreuen uns an der ersten richtigen Beinah-Sommernacht. In Decken eingehüllt und mit dicken Jacken ausgestattet, ist es hier unten am Wasser recht gut auszuhalten.

„Jetzt ist es aber schon ordentlich dunkel“, bemerkt die Freundin ein paar Stunden später. Die lichtspendenden Wohnungen sind nun im Dunkel versunken. Um am nächsten Morgen erneut von Sonnenlicht durchflutet zu werden. „Ach, aber wartet einmal“, ruft sie dann. „Wir knipsen einfach dich an, du hast ja die Sonne in deinem Herzen“, lacht sie laut auf und zwinkert mir zu. Wir lachen alle lauthals los. Bis jemand in den Wohnungen über uns das Licht aufdreht. Nun ist es wieder hell, aber für uns Zeit, nach Hause zu gehen.

© dieschreiberei 2021-06-03

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