Sonntagskind

Annemarie Baumgarten

von Annemarie Baumgarten

Story
Dresden, Berlin 1960 – 1967

Am 16.10.1960 wurde ich unter dem Sternzeichen Waage in der Bezirkshauptstadt Dresden geboren. Meine Eltern und Großeltern waren Eigentümer einer großen Villa Am Kosegarten auf dem Weißen Hirsch, die mehreren Familien Platz bietet. Dorthin kam ich wenige Tage nach meiner Geburt mit unserer Mutter Marianne. Erwartet wurden wir auch von meiner 10 Jahre älteren Schwester Doris und unserem Vater Heinz. Er hatte sich immer einen Stammhalter gewünscht. Beim nächsten Gottesdienst wurde ich auf den Namen Horst Korbinian getauft. Meine Eltern waren Jahrgang 1915 bzw. 1920. Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg, aus dem unser Vater glücklicherweise weitestgehend unbeschadet zurückgekommen war, hatten sich unsere Eltern erst spät getroffen und für Kinder entschieden. Der Bruder unseres Vaters war Jahrgang 1905 und musste 1940 ebenfalls in den Krieg ziehen. Nach Rückkehr aus der Gefangenschaft fand er in Berlin Gelegenheit, ein Modegeschäft zu übernehmen, dessen vormaliger Besitzer nicht so viel Glück wie unser Vater und Onkel Hilmar gehabt hatte. Er war gefallen. Vater und Onkel waren in Meißen geboren und hatten wie auch unsere Mutter und ihre Schwägerin eine Schneiderausbildung absolviert. Unsere Mutter stammte aus Schlesien. An die Großeltern kann ich mich kaum noch erinnern. Sie gingen von uns, als ich noch sehr klein war. Meine Schwester und die Eltern erzählten mir gelegentlich von ihnen. Es gibt einige wenige Fotos. Auch als uns die Verwandten aus Berlin mal besuchten, war ich noch zu klein, um wirkliche Erinnerungen zu haben.

Als Kind war ich häufig krank. Ich wurde verhätschelt und verzärtelt. An Vaters Aussage gegenüber Mutter und Schwester: „So wird das nie ein Mann.“ kann ich mich gut erinnern. Doris war stolz, wenn sie mich in Muttis Begleitung ausfahren durfte. Ab dem dritten Lebensjahr ging ich in den Kindergarten. Unsere Eltern waren über viele Jahre bei einer privaten Firma, die Bekleidung für den gehobeneren Bedarf herstellte, beschäftigt. Im Kindergarten gefiel es mir gut. Schnell hatte ich Kontakt zu den anderen gefunden und viele Freunde. Ich besuchte auch die Vorschule und kannte bereits meinen zukünftigen Schulweg.

Unser Onkel und Tante Magda hatten einen Ausreiseantrag gestellt. Nach längerer Wartezeit wurde dem ziemlich kurzfristig stattgegeben. Sie standen kurz vor dem Eintritt ins Rentenalter. Die Erwachsenen hatten abgesprochen, dass unsere Eltern das Geschäft in Berlin übernehmen. Das war auch Bedingung gewesen, sonst hätten die Oberen, die u. a. viele Sachen für festliche Anlässe dort arbeiten ließen, unsere Verwandten nicht fortgelassen. Der Traum eines eigenen Geschäfts geisterte schon lange durch den Kopf von Papa. Ich als kleiner Steppke bekam von all dem wenig mit. Manche Dinge hatten mir die Großen auch nicht gesagt, damit ich mich im Kindergarten nicht mal verplappere. Vati blieb gerade noch Zeit, mit dem Wolga in die Hauptstadt zu heizen, um die Schlüssel für das Wohn- und Geschäftshaus zu holen und sich von den Verwandten vorläufig zu verabschieden, die zunächst mal nach West-Berlin zogen. Eine Schenkungsurkunde war bereits ausgestellt worden. Es durfte niemand offiziell ausreisen, wenn solche Besitzverhältnisse nicht geklärt waren.

© Annemarie Baumgarten 2024-11-13

Genres
Science Fiction & Fantasy