Sperrgebiet

Anna-Katharina Plach

von Anna-Katharina Plach

Story
Ă–sterreich 1938 – 2025

Ich fahre ĂĽber die LandstraĂźe im nördlichen Waldviertel. Die Landschaft wirkt still, fast abwartend. Dichte Wälder wechseln sich mit weiten, hĂĽgeligen Feldern ab. Die Ortschaften heiĂźen hier GroĂź-Siegharts, Echsenbach oder Göpfritz an der Wild – Namen wie aus einem alten Märchenbuch. Die StraĂźen sind schmal, manche buckelig, als hätten sie die Eile nie gelernt. Das Navi sagt mir den Weg an und ich folge brav. Bis ich vor einer Abzweigung stehe. Die Stimme flötet: „Jetzt links abbiegen.“ Aber da ist ein Schild: GESPERRT. Und darunter: TĂśPL – auf dem alten Wegweiser daneben steht „Allensteig“.

Es dämmert mir: der Truppenübungsplatz.

Ich biege nicht ab und suche eine andere Route. Doch wieder: GESPERRT. Noch ein Versuch – dasselbe Spiel. Langsam begreife ich: Ich bin dabei, ein ganzes Gebiet zu umfahren und ich frage mich, ob hier irgendwo gerade geschossen wird.

Ich schalte das Radio aus. Die Ruhe draußen wirkt plötzlich lauter als zuvor. Natürlich kenne ich den Namen Allensteig. Wer aus Niederösterreich kommt, hat ihn schon gehört. Aber mehr als eine Ahnung war es nie. Ich bin kein Militärfan, keine Geschichtenerzählerin aus der Kaserne. Doch jetzt, wo ich hier bin, wo das Gelände plötzlich greifbar wird – durch diese Absperrungen und diese Leere – will ich es wissen.

Im nächsten Ort gibt’s ein kleines Wirtshaus mit Bier aus Zwettl. Ich setze mich, bestelle ein Soda-Zitron und beginne zu recherchieren.

Der Truppenübungsplatz Allentsteig, erfahre ich, ist der größte in ganz Österreich. Seit 1938 gibt es ihn. Die Nationalsozialisten haben ihn eingerichtet und dafür über 40 Dörfer geräumt. Zwangsevakuierung. Die Menschen mussten ihre Häuser verlassen und ihre Felder aufgeben.

Ich lese von zerstörten Kirchen, von dem versunkenen Dorf Döllersheim, und der Gegend, wo Hitlers Familie herkam – und die, so heißt es, deshalb bewusst im Schießgebiet unterging.

Ein Teil des Landes, der absichtlich vergessen wurde.

Heute trainieren hier Soldaten aus Ă–sterreich, Deutschland und der Schweiz . Panzer fahren durch das Gelände, SchĂĽsse hallen manchmal bis nach Zwettl. Es gibt sogar eine kĂĽnstliche Stadt – „Urban Training Area“, eine Geisterstadt zum Ăśben fĂĽr Häuserkampf.

Ich sehe mir Luftaufnahmen an. Kilometer um Kilometer: Wald, Wiese, Niemandsland. Und dazwischen: Fragmente. Mauerreste. Verlassene Höfe. Ein kaputter Glockenturm, der trotzig in den Himmel ragt.

Als ich wieder im Auto sitze, denke ich an die Menschen, die hier einst lebten. Ihre Häuser stehen nicht mehr. Doch die Straßen, auf denen ich fahre, führen vielleicht noch über ihre Felder und Gärten.

Das Navi lotst mich weiter, diesmal ohne Sperrschild. Ich fahre durch die Landschaft und sehe sie jetzt anders. Nicht nur schön, nicht nur leer. Sondern voll von dem, was war.

© Anna-Katharina Plach 2025-07-18

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Reflektierend, Reflective, Informative
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