Ein Berg betrachtete stolz sein Spiegelbild in dem ihm zu Füßen liegenden klaren See. Die Erhebung war hoch und mächtig und in seiner Überheblichkeit fand er es unter seiner Würde, auch nur ein Wort mit dem See zu sprechen. Das ärgerte und kränkte den See so sehr, dass er nach und nach schwer erkrankte. Sein Wasser wurde trüb und undurchsichtig.
Der stolze Berg konnte nun sein Spiegelbild schwer erkennen. Er war jetzt dunkel, hässlich und die schmutzigen Wellen des Sees machten ihm fürchterliche Falten. Das war für den eitlen Berg schwer zu ertragen. Wütend beschimpfte er den kranken See, dass er ihn so hässlich mache, obwohl er doch in Wirklichkeit der Allerschönste sei. “Es ist dein Stolz, der mich krank und dich so hässlich macht”, sagte der See traurig.
Das verstand der eingebildete Felsklotz aber gar nicht. Er sollte an allem schuld sein. Nein, nein wirklich nicht! Er doch nicht! Nun ignorierte er den See ganz und gar. Steif und finster stand er nun da und wollte kein Wort mehr mit dem See sprechen.
Dem See ging es immer schlechter, er wurde immer trauriger und trüber. Da musste der Berg zur Kenntnis nehmen, dass er nicht einmal mehr seine Umrisse erkennen konnte. Er war wütend und dachte nun, dass ihn niemand mehr sehen konnte. Das tat dem eitlen Berg so weh, dass er anfing nachzudenken, wie er das denn wieder ändern könnte.
Nach langem Überlegen erkannte er seinen dummen Stolz. Nun tat es ihm sehr, sehr leid und er verdrückte auch heimlich ein paar Tränen, die langsam in den trüben See rollten. Das bewegte den See zutiefst und er überlegte wie er dem traurigen Riesen helfen könnte. Lange dachte er nach und plötzlich kam ihm ein Gedanke und er nahm allen Mut zusammen und wendete sich dem unnahbaren Berg zu.“Wir sollten Freunde sein”, flüsterte der See. Der riesige Klotz erschrak zuerst ein wenig, aber dann sagte er freudig:
„Freunde, ja Freunde wollen wir sein”, rief der Berg erleichtert. Der kranke See freute sich so sehr, dass sein Wasser rasch wieder klar und rein wurde. Nun konnte der Riese sein Spiegelbild wieder im reinen, glitzernden Wasser seines Freundes erkennen und mit Freude und Dankbarkeit erkannte er, dass die Schönheit seines Freundes auch seine eigene ist!
© Helmtraud Anzengruber 2021-02-07