“Hier!“, beinahe werfe ich der Kassendame das Geld zu. Sie fängt es geschickt aus der Luft, ich stürme in Richtung Eingang. Vor mir ist eine Tür, darüber steht in großen Buchstaben „Spiegellabyrinth“. Das Strahlen in meinem Gesicht wird immer größer. Ich war noch nie in so einer Art von Irrgarten. Dafür freue ich mich jetzt umso mehr darauf durch das Labyrinth zu schleichen und den Ausgang zu suchen. Ich mache die Augen zu und öffne die Tür. Nachdem ich sie geschlossen habe, mache ich die sie wieder auf. Staunend betrachte ich den kleinen Raum. Was heißt betrachten, ich schaue in die Spiegel. Überall, sogar auf der Tür und der Decke. Alles was ich sehe, bin ich. Und zwar unendlich mal. Ich, von hinten, von vorne, von der Seite und von oben. Ein kleines, dünnes Mädchen. Dunkelblonde Haare, dunkle Jeans, schwarzer Pulli mit ebenfalls schwarzer Kapuze, die meinen Kopf bedeckt. Die schwarze Mascara und die Ringe unter meinen Augen lassen mich aussehen wie einen Grufti. Ich muss schwer schlucken. Es wurde ganz still, nur mein Herzschlag ist zu hören. Das, das bin ich? Das Strahlen auf meinem Gesicht verschwindet. Auf einmal ist mir zum Weinen zumute. Ich weiß, ich bin zu alt für sowas. Weinen, wegen jedem Blödsinn. Ich habe lange nicht mehr geweint. Immer nur gelacht. Ich kenne das Gefühl nicht, traurig zu sein. Und ich mag es nicht. Es ist unnatürlich, ich bin viel lieber fröhlich, auch wenn viele denken, ich sei ein Grufti, immer deprimiert und so. Aber das stimmt nicht. Plötzlich kullern Tränen über meine Wangen. Die Mascara verschmiert nun komplett. Aber das ist mir egal. Ich kann immer noch nicht glauben, das ich so aussehe, das ich so bin. Ich weiß so wenig über mich. Wer bin ich? Wer schreibt mir vor, was ich sein soll? Ich bin ein Durchschnitts-Mädchen, nichts Besonderes. Immer nur die, die Aufmerksamkeit durch ihren komischen Geschmack erregen will. Aber was ich hier sehe, enttäuscht mich selber. Das fröhliche Mädchen, immer bei jeder Party dabei, was keine Schwächen zeigt, steht jetzt hier und weint, bloß weil es sich im Spiegel gesehen hat. Das ist ein komisches Gefühl, zu erfahren und su sehen, wer man selber ist. Und es ist kein schönes. Ich trete gegen einen Spiegel, was ein dumpfes Geräusch macht, was mich in die Realität zurückholt. Gott sei Dank, der Spiegel ist noch ganz. Aber jetzt weiß ich: Ich bin, wer ich bin, und ich bleib es auch!
© Hannah Kunstätter 2021-06-15