Spiegeln

Eva Geiben

von Eva Geiben

Story

Wie war Honolulu?

“Der absolute Traum.”

Unglaublich stressig.

Hattest du Spaß in New York?

“Ist wohl einer der tollsten Orte auf der ganzen Welt.”

Laut, dreckig, kalt, voll.

Was ist denn deine Lieblingsstadt?

“Kapstadt.”

Ich war noch nie da. Aber ich weiß, wie es scheint, dort gewesen zu sein.

Jetzt sitze ich hier, im Bus, allein, zuhause, in Berlin, abends, es ist dunkel. Ich schaue mich um. Der Doppeldecker ist fast leer, niemand will jetzt noch zum Ku’Damm. Neben mir sitzt ein Vater, seine Tochter auf dem Schoß. Er müsste man sein. Er hat bestimmt ein eigenes Haus. Er lacht, er streichelt einen sanften Kopf, riecht an weicher Haut, die er selbst erschaffen hat.

Ein junges Paar kuschelt, ihr Kopf auf seiner Schulter. Seine Hände ertasten ihre und wärmen diese. Ich sehe, wie ihre Augen zu fallen, sie hatte einen langen Tag. Dort sollte ich sitzen können.

Ich höre die Musik in meinen Ohren, eine Stimme besingt mich, die nicht viel älter sein kann, als meine eigene. Sie singt über Orte, an denen ich war, aber vielleicht hätte ich ja mit ihr dort sein sollen. Vielleicht sind die Orte ja anders mit ihr. Von einem zum anderen Moment frage ich mich, ob ich existiere, wenn ich nicht bin wie sie. Ich kann ihre Lieder nur verstehen, wenn ich sie bin – und das will ich – aber wie? Darf ich überhaupt sein, wenn ich nicht wie sie bin? Kann nicht sie mal wie ich sein? Ich steige aus, greife in meine Tasche und rauche. Dann steige ich um. Weiter geht`s.

Jetzt sitze ich hier, in einem neuen Bus. Dieser füllt sich, ich nicht. Also fahre ich weiter, in die falsche Richtung. Ab Montag habe ich einen neuen Job, irgendetwas im Einzelhandel. Aber ich arbeite eigentlich nur, um wieder nach Abu Dhabi zu können. Wenn ich dort bin, muss ich weniger interessant sein, sondern kann meine Reisen herausstechen lassen. Dann fragt Weihnachten mich nach dem Wetter dort und nicht nach meiner Karriere. Dann kann ich dem Baum Geschenke über mich selbst bringen, ohne dass die anderen sich beschweren können. Dann hat keiner was zu sagen, außer meine Mailbox. Und ich darf endlich sein, wer ich nicht bin.

© Eva Geiben 2023-01-23

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