Ächzend und mit lautem Krachen fällt die alte Silberfichte zu Boden. Auch die große Buche wird nicht verschont. Über diesem Getöse und dem Lärm der Baumaschinen schwirren die Vögel aufgeschreckt hoch. Mit der Zerstörung der alten Bäume werden auch ihre Nester und Brutplätze unwiederbringlich vernichtet.
Bagger fahren auf und reißen Löcher in den Boden. Der Maulwurf wird Mühe haben, einen anderen Lebensraum zu finden, sofern er nicht von den schweren Schaufeln brutal zermalmt wird.
Der Garten, der vor kurzem noch ein naturbelassenes Fleckchen Erde war, muss einer modernen Wohnanlage weichen. Bekanntlich ist in der Bauwirtschaft viel Geld zu holen. Da kann auf blühende Bäume oder Vogelnester keine Rücksicht genommen werden. Da ist es egal, ob der Nussbaum gerade reichlich Früchte trägt, und egal, ob die Rosen ihre farbenfrohe, duftende Pracht jedes Jahr aufs Neue entfalten.
Ich stehe am Bauzaun und versuche, nicht sentimental zu werden. Erinnerungen steigen in mir auf.
Das verwitterte Haus, das früher hier stand, wirkte winzig im Vergleich zu den umstehenden Neubauten. Der Garten rund ums Haus erschien mir als Kind wie ein Park mit unendlichen Ausmaßen. Ich war fasziniert vom Farbenspiel der weißen Birken mit ihrem hellgrünen Laub und betört vom feinen Duft der blauen Iris.
Die kleine gebrechliche Frau, die hier wohnte, kam uns Kindern uralt vor. Sie war freundlich und ließ uns oft in den Garten. Im Sommer schenkte sie uns Marillen und im Winter lud sie uns zum Aufwärmen ins Haus. Drinnen roch es nach dem Holz der Eichenvertäfelung und manchmal gab es heiße Schokolade.
Die mächtige Buche mit ihren weit ausladenden, silbergrauen Ästen war unser Kletterbaum. Wie auf Stufen hangelten wir uns von einem Ast zum anderen bis in schwindelerregende Höhe. Dann saßen wir stolz und pfeifend in der Baumkrone. Der Abstieg war ungleich schwieriger als der Aufstieg.
Einmal fesselten die anderen Kinder beim Indianerspielen meinen kleinen Bruder an einen Baum. Er war so fest angebunden, dass er nicht alleine loskommen konnte, und die Tränen liefen ihm über die Wangen. Ich musste abwarten, bis die fremden Buben weit genug weg waren, um mein Brüderchen zu befreien und zu trösten.
Das Gras wuchs so stark, dass es mit einem normalen Rasenmäher nicht zu mähen war. Hin und wieder kam ein älterer Mann mit einer Sense. Wir Kinder wollten überall dabei sein und mithelfen. Sogar der Kleinste schnappte sich mit kurzen Ärmchen ein Bündel Grasschnitt und brachte es zum Sammelkorb. Nebenbei hieß es aufzupassen, denn es war schon vorgekommen, dass eins von uns über einen Rechen stürzte und sich die Zinken ins Bein stieß.
Im Hochsommer versuchten wir, die Uhrzeit fürs Heimkommen möglichst spät anzusetzen, denn mit ein bisschen Glück konnten wir in der Abenddämmerung noch ein paar Glühwürmchen sehen.
Jetzt bin ich doch sentimental geworden. Am Bauzaun hängen Bilder und Pläne der neuen Wohnanlage. Es wird auch einen Spielplatz geben.
© Dominika Miller-Aichholz 2021-04-21