von Klaus Schedler
Musik hatte mich als Kind weniger fasziniert, als die Mechanik der alten Musikautomaten. Einst musste man mehr schlecht als recht selbst Musik machen, doch dann tauchten Ende der 50er Jahre auch bei uns in Lokalen des Münsterlandes die ersten Musikboxen auf. Schon der automatisierte Suchvorgang und der Wechsel der gewählten 17cm Singles, das Auflegen auf den Plattenteller sowie das Aufsetzen und die Rückführung des Tonarms, hatten all dies hatten zu einem perfekt inszenierten Schauspiel hochstilisiert, welches hinter einer gewölbten Plexiglasscheibe auf einer bunt beleuchten Miniaturbühne stattfand. Allein schon diese Darbietung konnte mir 10 Pfennig wert sein.
Als Jugendlicher fand ich eine defekte Messing Spieluhr. Schnell war ich mir über die Funktionsweise des Kammes und der Walze im Klaren, doch anscheinend war die Hemmung blockiert und überdies fehlte das Lager für den Windflügel. Größtes Problem aber war die gebrochene Aufzugsfeder und es dauerte mit Unterbrechungen mehrere Monate, bis ich das Wunderding endlich soweit repariert hatte, dass erste Töne zu hören waren. Ich kannte die Melodie nicht, doch ein Opernkenner gab mir den Tipp: „Le Prophéte“, Oper von Giacomo Meyerbeer aus der Mitte des 19. Jh. Der Kenner meinte, dass dies gut zur Signatur der Spieluhr passen würde: „F. Rzebitschek Fabrik Prag“, denn die hatte solche Uhren seinerzeit gebaut. „Da sind aber mehr Stücke auf der Walze …“, denn nach jeder Umdrehung müsste durch eine sinnreiche Konstruktion die Melodie automatisch wechseln. Der Tipp war gut gemeint, doch fehlte ein Teil und somit blieb mir dieses Geheimnis verborgen, zumal die Spieluhr 1971 bei unserem Umzug nach Österreich verloren ging.
Eine der frühesten Anschaffungen von meinem erstverdienten Geld war 1982 eine Stereo-Anlage, natürlich mit vollautomatischem Plattenspieler, und so wuchs in weiterer Folge die Schallplattensammlung vor allem auch deshalb, weil die CD ihren Siegeszug über die Schallplatten angetreten hatte und Vinyl daher verschleudert wurde. Bis heute gebe ich meinen alten Platten mit ihrem leisen, spannungsgeladenen Knistern den Vorzug.
Und die Spieluhr? Im Jahr 2019 kam am Linzer Landestheater die Oper „Der Prophet“ von Meyerbeer zur Aufführung. Bei meiner Spieluhr-Melodie hatte es sich um den „Krönungsmarsch“ gehandelt und der hatte mir nicht gefallen. Überhaupt bin ich kein Freund der großen französischen Oper. Nun aber erfuhr ich, dass Meyerbeer zwar in Frankreich gewirkt hatte, aber ein erfolgreicher deutscher Komponist des 19. Jh. war. Auch geht es in dieser Oper nicht, wie ich fälschlicherweise angenommen hatte, um das Wirken eines Propheten während der babylonischen Gefangenschaft, sondern um das Wiedertäufer-Reich der 1530er Jahre in Münster, meiner Heimat also. Hier schloss sich also ein Kreis! Mehr noch: Ich fand es für jene Zeit überaus mutig, den – wie wir heute sagen würden – linksradikalen Zweig der Reformation zu thematisieren.
© Klaus Schedler 2020-05-05